Die ZVG: Vom bescheidenen Hof zur internationalen Marke

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Von Julia Hartmann

Das große Haus in der Straße steht immer noch, auf dem Weg Richtung „Haus Waldfrieden“. Auf der Fassade steht „Z V G“, in einem Dreieck angeordnet. Die Abkürzung steht für „Zündmetall-Verkaufs-Gesellschaft mbH“. Aus der Eisenbacher Holzwarenfabrik (EHOF) hervorgegangen, gründete der Unternehmer Günther Krause 1949 die ZVG in demselben Gebäude.

Logo und Briefkopf der ZVG

Gründung und Anfänge

Während des Zweiten Weltkrieges wurden Familien aus den Städten evakuiert und auf dem Land untergebracht. So auch Familie Krause: Frau Krause, die Tochter Christel und ein Sohn lebten in dieser Zeit auf dem Hof zu Hausen. Als die Männer aus dem Krieg zurückkamen, war auch der Vater Günther, von Beruf Kaufmann, darunter. Er gründete eine Holzwarenfabrik, die Kinderspielzeug produzierte, und ließ das Gebäude bauen, so wie es heute noch steht. In der Holzfabrik arbeiteten etwa zehn Mitarbeiter. Krause nutzte seine Kontakte in die Firma Th. Goldschmidt aus Essen, einem an der Börse gelisteten Chemiekonzern, der aus importierten Seltenen Erden Zündsteine produzierte. Aus der Holzwarenfabrik wurde im Jahr 1949 die „Zündmetall-Verkaufs-Gesellschaft mbH“, kurz ZVG, eine Tochtergesellschaft der Firma Th. Goldschmidt.

Krause wurde erster Geschäftsführer der ZVG und legte den Holzbetrieb still. Der Mutterkonzern Th. Goldschmidt stellte aus dem aus den Seltenen Erden gewonnenen Cer-Mischmetall Zündsteine her. Diese wurden dann in Eisenbach in Feuerzeuge eingelegt. Auch Gasanzünder wurden hier zusammengesetzt. Über die ZVG gelangten die Produkte zum Verkauf: „Zum Abnehmerkreis gehörten der Groß- und Einzelhandel für Feuerzeuge sowie Feuerzeugfabriken. Hinzu kamen Haushalte mit den verschiedensten Gasquellen und Industriebetriebe, in denen Schweißungen vorgenommen wurden“, heißt es hierzu in einer Firmenchronik der Th. Goldschmidt. Die Kunden waren beispielsweise aber auch kleine Tabakgeschäfte. Die Produkte fanden ihre Käufer nicht nur in Deutschland, sondern auch im Ausland und wurden über freie Handelsvertreter vertrieben, welche die Einzelhandelsgeschäfte belieferten.

Günther Krause wohnte mit seiner Familie im Gebäude der ZVG. Im 2. Obergeschoss hatten sie ihre Wohnräume. Im Erdgeschoss waren die Räume für die Fabrikation, eine Lagerhalle und eine Garage, nebenan zwei Schuppen. Im 1. Obergeschoss befanden sich die Büroräume, ein Gang und im hinteren Bereich das Lager und die Abnahme der Heimarbeit. Neben den Wohnräumen der Familie Krause im oberen Geschoss befanden sich wiederum weitere Büros.

Fabrikation, Vertrieb, Heimarbeit

Albert Hilt war von 1952 bis 1955 Lehrling der ZVG. Nach seiner Ausbildung arbeitete er noch – mit einer kurzen Unterbrechung – bis 1961 dort. Von der Fabrikation bis zum Endprodukt, von der Büroabwicklung bis hin zu Auslieferungen – Hilt war vielseitig eingesetzt. Im Sommer schwang er sich mit kurzen Lederhosen auf sein Fahrrad und war schnell am Arbeitsplatz. Mal füllte er die 200ml-Kanister mit Benzin, mal fertigte er Gasanzünder an. Zu seinen Tätigkeiten gehörte es aber auch mal, für die Familie Krause im Dorf einzukaufen. Dann ging Hilt zum Metzger und machte für seinen Chef den Einkauf. Einmal war er auch für acht Tage mit einem Vertreter, dem Bruder des Chefs, unterwegs, aber Albert Hilt merkte schnell, dass diese Tätigkeit nichts für ihn war.

Vorder- und Rückseite einer ZVG-Postkarte

Winfried Hartmann begann im Alter von 14 Jahren im Jahr 1953 seine Kaufmannslehre bei der ZVG und durchlief während der Ausbildung alle Abteilungen der ZVG. Bis 1959 arbeitete er in der ZVG, sein Arbeitsschwerpunkt war die Buchhaltung. Er blickt zurück: „Zwar traf der Spruch ‚Lehrjahre sind keine Herrenjahre‘ auch auf die ZVG zu, aber die ZVG war damals ein beliebter Ausbildungsbetrieb. Wir wurden nicht als billige Arbeitskräfte gesehen, sondern die Jugend wurde auch gefördert.“ So hätten die Lehrlinge beispielsweise Zeit für das Üben im Steno-Schreiben bekommen. Es sei Wert daraufgelegt worden, dass man etwas für die Zukunft lerne.

In den 1950er-Jahren arbeiteten in der ZVG bis zu 50 Mitarbeiter, dazu kamen noch rund 20 Heimarbeiter. Sie füllten beispielsweise Ampullen in Schachteln ab. Mit Handkarren oder Rucksack holten die Heimarbeiter die benötigten Einzelteile an der ZVG ab, arbeiteten zu Hause weiter und brachten das fertige Produkt anschließend zurück. Für viele Familien stellte dies einen guten Zuverdienst dar. Mindestens drei oder vier Schwerbehinderte (Kriegsversehrte) fanden in der ZVG Arbeit, so Winfried Hartmann.

Die ZVG hatte in Eisenbach ein großes Lager, denn sie vertrieb auch die Feuerzeuge, Zündsteine etc. Die Einzelteile hierfür wurden aus verschiedenen Ecken Deutschlands angeliefert. Die Glasphiolen kamen aus der Nähe von Hamburg. Die Hauptartikel, welche die ZVG herstellte, basierten auf Feuersteinen. Die Phiolen waren zunächst aus Glas, dann aus Plastik. Auch Benzin wurde in der ZVG in kleine Ampullen gefüllt. Hierfür gab es keine besondere Schutzkleidung, erinnert sich Winfried Hartmann – heute undenkbar in einem Arbeitsumfeld mit Brennstoffen.

ZVG-Produkte werden heute teuer gehandelt.

Die ZVG unter Günther Krause

Günther Krause, den im Unternehmen alle mit „Herr Direktor“ ansprachen, „lebte den Kaufmann“, erzählt Winfried Hartmann. Er wurde 1948 Jagdpächter in Eisenbach, gab dies aber bereits 1952 wieder ab. Krause war auch Mäzen des TUS Eisenbach. Die Fußballer trugen in dieser Zeit grau-rote Trikots, die Firmenfarben der ZVG. Die Frau des Hausmeisters der ZVG wusch die Trikots.

Günther Krause (links, stehend) 1952 mit der 1. Mannschaft des TUS Eisenbach (Quelle: TUS Eisenbach)

Feste und Ausflüge

Fastnacht wurde jedes Jahr im Betrieb gefeiert, erinnert sich Albert Hilt. Der halbe Tag war frei, die Mitarbeiter vor Ort waren kostümiert, Trinken und Essen zahlte Günther Krause. „Da waren sie ziemlich großzügig“, findet Hilt noch heute, der nach bestandener Lehrlingsprüfung mit seiner Mutter, dem Chef Günther Krause und dem Prokuristen Ernst Böcher im ZVG-Transporter zur IHK nach Limburg fuhr. Hilt erinnert sich: „Sie haben einen Sessel in den Transporter gestellt und da saß ich dann während der Fahrt nach Limburg. Eigentlich wären auch Autos da gewesen, aber die waren privat.“ In Limburg erhielt er seine Urkunde und nach einer kleinen Feierlichkeit ging es auf dem Sessel im Transporter wieder zurück nach Eisenbach.

Walter Buchenau, Hausmeister der ZVG und Vater des bekannten Fußballers

Winfried Hartmann denkt gerne an die jährlichen Weihnachtsfeiern zurück. Auch die Betriebsausflüge waren für ihn und alle anderen Mitarbeiter Höhepunkte – denn dies war in dieser Zeit in anderen (kleineren) Betrieben nicht üblich. Es ging mit einem Reisebus in den Rheingau und in den Spessart, natürlich stets verbunden mit einer abendlichen Abschlussfeier.

Albert Hilt und Winfried Hartmann, die Mitte der 1950er-Jahre bereits zusammen mit Egon Reichwein mit ihren Fahrrädern um den Bodensee gefahren waren, konnten sich durch die ZVG eine Fahrradtour entlang der Nordsee bis nach Holland ermöglichen: Der Fahrer aus Kutenholz, der mit seinem Laster das Rohmaterial für die Ampullen brachte und leer zurückfuhr, nahm sie und ihre Räder mit bis nach Hamburg. Von dort starteten die beiden dann ihre Tour und waren 14 Tage lang unterwegs.

Namens- und Mutterkonzernwechsel im Laufe der Jahrzehnte (Grafik: Julia Hartmann)

Die 1960er- und 70er-Jahre: Friedel Berning und die „Tego-Handel GmbH“

Nachdem die Familie Krause Anfang der 1960er-Jahre wieder nach Nordrhein-Westfalen zurückgekehrt war und Herr Riekehoff von Essen aus das Geschäft führte, übernahm Friedel Berning die Leitung der ZVG. Er war angestellt und vom Mutterkonzern Th. Goldschmidt als Chef der ZVG eingesetzt. Mit seiner Familie lebte er in Eisenbach.

Gerhard Böcher, der 1964 seine Arbeit bei der ZVG begonnen hatte und 1968 Betriebsleiter wurde, erinnert sich gerne an Friedel Berning zurück: Er spricht von einem „sehr guten Verhältnis“ mit Berning, der bei den Mitarbeitern wegen seiner „kumpelhaften“ Art beliebt gewesen sei.

Im Februar 1972 wird aus der „ZVG“ die „Tego-Handel GmbH“. Kurz zuvor, 1968, war die Firma umgezogen, in das heutige Gebäude der Firma „Sirowa“. Etwa 30 bis 35 Mitarbeiter waren zu dieser Zeit in Büro und Produktion tätig, so Gerhard Böcher. Hinzu kamen noch etwa zehn Heimarbeiter, die Zündsteine in kleine Gläschen abfüllten und auf eine Klappkarte nähten. Die Heimarbeiter wurden dabei nach Stückzahl vergütet.

Bei „Tego-Handel“ machte Agnes Hartmann ihre Lehre. „Da war schon im Gespräch, dass es zu ‚Prometheus‘ wird“, erinnert sie sich. Unter dem Geschäftsführer Friedel Berning absolvierte sie ihre Lehre zur Bürokauffrau und arbeitete schließlich beim Nachfolgeunternehmen „Prometheus Metallwerke GmbH“ bis 1987. Sie erlebte die Firma stets als gut laufenden, fortschrittlichen Betrieb, der technisch sehr gut ausgestattet war. Ihr Tätigkeitsschwerpunkt war der „Verkauf Inland“.

Die „Prometheus Metallwerke GmbH“

Im Unternehmen Th. Goldschmidt verloren ab der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre traditionsreiche Bereiche an Bedeutung: „[…] nach und nach [musste] die Fertigung von Korrosionsschutzmitteln, Kunstharzfilmen, Zündsteinen sowie die Entzinnung von Weißblech eingestellt werden“, heißt es in der Firmenchronik der Th. Goldschmidt.

Es stellte sich als Glück heraus, dass die österreichische Firma Treibach Chemische Werke ein Interesse an dem Betrieb der Tego-Handel in Eisenbach hatte. Eine Tochtergesellschaft der Treibach Chemische Werke, die „Prometheus Metallwerke GmbH“, kaufte 1978 die Betriebsmittel der „Tego-Handel“ und übernahm die Eisenbacher Mitarbeiter. Die „Prometheus Metallwerke GmbH“ verlegte 1980 ihren Sitz von Kempten ganz nach Eisenbach. Friedel Berning blieb Geschäftsführer – Jürgen Hahn, Prokurist in Kempten, kam hinzu und übernahm die Geschäftsführung im März 1981, als Berning ausschied.

Die Arbeit blieb trotz Namens- und Konzernwechsel die gleiche: Gegenstand des Unternehmens waren die Produktion von Metallwaren und der Vertrieb von Zündsteinen. In Eisenbach wurden die Bügel für Gasanzünder gefertigt und lackiert und schließlich verpackt und versendet. Zündsteine, die in 50-Kilogramm-Eimern aus Treibach angeliefert wurden, wurden in Eisenbach abgefüllt; die Zündsteine in der Blisterverpackung von Eisenbach aus versendet. Benzinflaschen, in 25er-Packungen aus Zell im Wiesental (Baden-Württemberg) angeliefert, wurden in Eisenbach ebenso kundengerecht verpackt und versendet. Die ebenfalls in Zell im Wiesental produzierten und abgefüllten Gasflaschen gelangten in 50er-Packungen nach Eisenbach, von wo aus sie neu verpackt und an die Kunden verschickt wurden.

Mit Wirkung zum 1. Januar 1993 wurde Gerhard Böcher zum Geschäftsführer bestellt – neben Dr. Otto Bohunovsky, der von Treibach aus als Geschäftsführer wirkte.

Für Prometheus wurde es ab Anfang der 1990er-Jahre allerdings schwierig. Das Geschäft für Gasanzünder und Brennstoffe ging zurück. Zudem übernahm der österreichische Mutterkonzern, der die Zündsteine fertigte, fortan selbst die Abwicklung der Exportaufträge, die vorher noch in Eisenbach abgearbeitet worden waren. Diese beiden Entwicklungen führten dazu, dass die Firma Prometheus zum 30. Juni 1995 aufgelöst wurde. Böcher und Bohunovsky fungierten als Liquidatoren. Alle Mitarbeiter verloren ihren Arbeitsplatz. Die fast fünf Jahrzehnte währende Ära eines größeren Gewerbebetriebs in Eisenbach ging damit zu Ende.

Geschäftsführer im Laufe der Zeit (Grafik: Julia Hartmann)


Quellen:

Albert Hilt: Erinnerungen, Januar 2025.

Winfried Hartmann: Erinnerungen, Februar 2025.

Gerhard Böcher: Erinnerungen, Februar 2025.

Agnes Hartmann: Erinnerungen, Februar 2025.

Handelsregisterauszug des Amtsgerichts Limburg zur „Zündmetall-Verkaufs-Gesellschaft mbH“, HRB 20.

Handelsregisterauszug des Amtsgerichts Limburg zur „Prometheus Metallwerke GmbH“, HRB 347.

TUS Eisenbach: 100 Jahre Festschrift.

Th. Goldschmidt AG (1997): Grenzen überwinden. 150 Jahre Th. Goldschmidt.

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