Josef Ries‘ Dienst in der Wehrmacht und bei der Organisation Todt

Von Christian Heinz

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Laut dem sog. Heiratsnebenregister wurde Josef Ries Senior am 5. Februar 1896 in Hadamar/Lahn geboren. Es ist anzunehmen, dass er sehr wahrscheinlich im Ersten Weltkrieg als (Front-)Soldat dem Vaterland gedient hat. Seine genaue Funktion sowie Einsatzort und -zeitraum sind nicht bekannt.  Laut Heiratsnebenregister war er im zivilen Beruf Lackierer.

Josef Ries Senior heiratete Maria Stickel am 13.10.1923, zog nach Eisenbach und wohnte zuletzt in der Bergstraße. Das Paar hatte vier Söhne. Alle überlebten den Krieg. Von den vier Söhnen wurde lediglich einer zum Kriegsdienst eingezogen aufgrund des Jahrgangs (1925).

Laut Mitteilung des Bundesarchivs – Abteilung Personenbezogene Auskünfte mit Sitz in Berlin wurde 1939 gemeldet, dass Josef Ries Senior der 1. Kompanie des Landesschützenbataillon 765 angehörte. Eine weitere Meldung über die Angehörigkeit desselben Bataillons mit Angabe im Rang eines Gefreiten erfolgte 1940.

Soldaten der Landesschützenbataillone bewachten unter anderem Kriegsgefangene. Der Autor und zugleich Enkel von Josef Ries Junior erinnert sich, dass dieser erwähnte, dass Josef Ries Senior 1940 französiche Kriegsgefangene in (Bad) Camberg bewacht hat, die in der heutigen Bäckerei Wenz untergebracht waren. Nach persönlicher Einschätzung des Autors dieses Artikels stammten die französischen Kriegsgefangenen wahrscheinlich aus dem Kriegsgefangenlager „Stalag XII A“, das sich zwischen Limburg und Diez befand und diese waren wahrscheinlich einem temporären sog. Arbeitskommando zugeteilt.

Auf der Karteikarte wurde die Angabe über die Erkennungsmarke vermerkt: -52- 1. Kompanie Landesschützenbataillon 765, was impliziert, dass Josef Ries Senior mit Eintritt in die Wehrmacht dieser Einheit angehörte. Ebenso wurde am 16.12.1971 auf der Karteikarte vermerkt, dass er am 12.08.1940 an das Wehrmeldeamt Limburg zur Entlassung überwiesen wurde. Wahrscheinlich folgte kurz darauf im August, spätestens im September 1940, die ehrenhafte Entlassung aus der Wehrmacht.

Josef Ries Senior, in einer unbekannten Uniform. Ebenfalls wahrscheinlich in den 1920er Jahren entstanden

Auf der Karteikarte wurde unter gleichen Datums weiterhin eingetragen, dass über Entlassung und erneute Einberufung sowie über Verbleib keine Aufzeichnung vorliegen. Weiterhin wurde vermerkt, dass für ihn ein sog. Registerfall beim Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes in München vorliegt und er dort als „OT Frontarbeiter“ registriert ist. Konkret wird für den Zeitraum 1942/43 die OT Einheit 47 angegeben. Laut der Karteikarte des Bundearchivs war er im zivilen Beruf schlicht „Arbeiter“.

OT steht für „Organisation Todt“ (ausgesprochen: „Tott“), eine paramilitärische Bautruppe des NS-Regimes, die nach ihrem Anführer Fritz Todt (1891-1942) benannt wurde. Diese war für Bauvorhaben eingesetzt, wie zum Beispiel beim Autobahnbau, aber auch für militärische Baumaßnahmen (Bunkeranlagen) oder Instandsetzungen von beschädigten Brücken und Straßen während des Krieges. Die OT war hierarchisch organisiert. OT-Angehörige trugen Uniformen; es herrschten militärische Umgangsformen. Nach der sog. Machtergreifung der Nationalsozialisten wurden alle Organisationen, darunter auch Vereine, im Sinne des NS entsprechend umgewandelt, in eine andere ähnliche NS-Organisation integriert oder verboten, sprich aufgelöst. Ein Entkommen war nicht möglich. Mit diesem Hintergrundwissen verwundert es daher nicht, dass zum Beispiel das Deutsche Rote Kreuz ebenso in der Liste der NS-Organisationen der Entnazifizierungsbögen gelistet wurde.

Die OT war kein Verband der Wehrmacht, d.h. sie fungierte unabhängig und selbstständig von der Wehrmacht, führte jedoch in ihrem Auftrag Bauprojekte aus, oft in Frontnähe und nah zu Wehrmachtseinheiten. Der mit Stempel erfolgte Eintrag „Gefolge“ auf der Karteikarte von Josef Ries, kurz für Wehrmachts-Gefolge, schließt darauf.

Wahrscheinlich war Josef Ries Senior nicht vor 1942 Angehöriger der OT und vermutlich aus finanziellen Gründen getrieben, der OT beizutreten. Ob er freiwillig (eher wahrscheinlich) oder unfreiwillig (eher unwahrscheinlich) zur OT ging, lässt sich nicht abschließend klären. Es ist eher unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen, dass das zivile Unternehmen, in dem er arbeitete, in die OT eintrat und er quasi automatisch Mitglied der OT wurde oder von der OT in dem Unternehmen angeworben wurde, sofern er überhaupt Arbeit hatte. Vermutlich verdiente Josef Ries Senior nach Entlassung aus der Wehrmacht und generell in dem Jahr 1941 nicht viel, sodass er sich 1942 entschloss, zur OT zu gehen. Er hatte für seine Frau und vier Kinder zu sorgen. Das Jüngste der vier Kinder wurde 1936 geboren. Der Autor erinnert sich, dass sein Großvater erwähnte, dass die Familie arm war. Möglicherweise konnte er als Frontarbeiter mehr verdienen als Zivilarbeiter in der Heimat. Der Autor möchte hier betonen, dass dies eine mögliche Erklärung ist, aber dennoch reine Spekulation ist und nicht auf beweisbare Fakten basiert.

Eventuell wurde Josef Ries Senior durch seine Tätigkeit in der OT Augenzeuge von Kriegsverbrechen. Aufgrund seines niedrigen Ranges als Frontarbeiter ist eine aktive Beteiligung an Kriegsverbrechen unwahrscheinlich.

Josef Ries Junior, der Großvater des Autors, erwähnte, dass sein Vater in Stalingrad vermisst ist. Dies stimmt überein mit der bereits erwähnten Angabe „OT Einheit 47“.

Von Gerichtswegen wurde Josef Ries Senior 1972 für tot erklärt: Todeszeitpunkt 31.12.1945, das Standard-Todesdatum für ungeklärte Vermisstenfälle des Zweiten Weltkriegs.

Laut dem Eisenbacher Gedenkbuch gilt Josef Ries Senior seit dem 11.01.1943 als vermisst. Höchstwahrscheinlich stammt von diesem Datum seine letzte Nachricht.

Die Rote Armee startete am 10.01.1943 die Operation Koltso, die mit der Befreiung von Stalingrad am 02.02.1943 und die Vernichtung der deutschen 6. Armee endete.

Josef Ries Seniors letzter Feldpostbrief wurde spätestens entweder am 16.01. (17.01. Eroberung des deutschen Flughafens Pitomnik) oder spätestens am 21.01.1943 (22.01.1943 Eroberung des deutschen Flughafens Gumrak) aus dem Kessel ausgeflogen. Mutmaßlich wurde er entweder noch am selben Tag getötet bei Kalatsch oder ist nur einen Tag oder ein paar Tage später auf der Flucht in Richtung Stalingrad ums Leben gekommen.  Ob sein Name auf einem Würfel der Vermissten eingraviert wurde, die sich auf der deutsch-russischen Kriegsgräberstätte Rossoschka befinden, ist dem Autor nicht bekannt.

Man kann nur erahnen, wie der Briefumschlag aussah, als dieser Maria Ries in Eisenbach erreichte. Man kann nur spekulieren, was Josef Ries Senior in dem Brief geschrieben hatte. Ob er sich verabschiedet hatte? Ob er seiner Frau Zuversicht und Hoffnung vermittelt hat? Ob er nichts von beidem geschrieben hatte, sondern nur Belangloses? Hatte er von seiner Arbeit bei Stalingrad berichtet? Nichts von alledem? Man wird es leider niemals wissen.

Ihr erstgeborener Sohn, der am Anfang des Artikels erwähnt wurde, ebenfalls Josef mit Vornamen, wurde im Frühjahr 1943 zum Reichsarbeitsdienst (RAD) – ebenfalls eine paramilitärische Organisation – eingezogen und war die meiste Zeit bis Ende März 1945 bei der Flak um Frankfurt am Main tätig. 1943 wusste Maria nicht, wie es um ihren Ehemann stand und ob sie ihren erstgeborenen Sohn jemals lebend wiedersehen würde.

Da Josef Ries Senior mit den letzten Kriegsheimkehrern 1955/56 aus der UdSSR nicht zurückkam, musste sich seine Ehefrau und ihre Söhne mit dem schmerzlichen Gedanken abfinden, dass es kein Wiedersehen mehr geben würde. Es ist durchaus möglich, dass Maria Ries niemals eine offizielle Benachrichtigung durch die OT erhalten hat. Auch möglich, dass sie niemals beim Hauptquartier in Berlin nach dem Verbleib ihres Mannes nachgefragte. Sie heiratete nie wieder und hatte bis zu ihrem Tod 1985 keinen Lebenspartner mehr an ihrer Seite.

Ehre seinem Andenken.


Quellen:

Bundesarchiv: Zentrale Personenkartei der Deutschen Dienststelle (WASt), B 563-1 KARTEI/R-634/471

Kurze Geschichte des Landesschützenbataillon

https://www.lexikon-der-wehrmacht.de/Gliederungen/LandschtzBat/LandschtzBat765-R.htm

Kurze Erklärung Landesschützen-Bataillonen allgemein

https://www.lexikon-der-wehrmacht.de/Gliederungen/LandschtzBat/Gliederung.htm

https://de.wikipedia.org/wiki/Bundesarchiv-Milit%C3%A4rarchiv

http://www.geheimprojekte.at/person_todt.html

https://www.veikkos-archiv.com/index.php?title=Organisation_Todt

https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-28570

http://www.neuengamme-ausstellungen.info/content/documents/thm/ha9_2_2_thm_2099.pdf 

Seite 9

https://www.malselvhistorielag.no/documents/PDFFileListDiverseHistorisk/Handbook-of-the-organisation-TODT-O-T-UK-1945.pdf

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