Der Tod an einer ruhigen Front

Von Gerd Reichwein Diese Darstellung basiert auf Aufzeichnungen von Josef Reichwein in einem Tageskalender sowie Familienerzählungen.

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Josef Reichwein, geboren 19.05.1898, war einer der typischen Eisenbacher Stukkateure, die im „Niederland“ arbeiteten. Diese Stukkateure waren eine Spezialtruppe, die im Rheinland bis in die Niederlande als „Nassauer“ einen guten Ruf hatten und als Saisonarbeiter arbeiteten. Im Frühjahr, wenn das Wetter für die Bauarbeit günstiger wurde, verließen diese Männer Eisenbach und kamen oft erst im Herbst zurück. Die Existenzbedingungen dieser Bevölkerungsgruppe waren im Vergleich mit anderen Arbeitern in Eisenbach relativ günstig. Da die Frauen einen oder mehrere Äcker bewirtschafteten und oft ein Schwein, eine Ziege oder Hühner hielten, konnte die jeweilige Familie mit einem Minimum an Geld über das Jahr wirtschaften.

Selbstverständlich hatte dieses Leben auch Schattenseiten. Die Frauen trugen eine schwere Last, sie mussten allein die Kinder erziehen und hatten mit der Stall- und Feldarbeit eine Vielzahl von Aufgaben. Diese Wirtschaftsform war in der Regel nicht gewünscht, allerdings waren andere Einkommensmöglichkeiten in Eisenbach schlichtweg kaum vorhanden.

Aus dieser Zeit stammt auch das Sprichwort: „Ach was sind wir arme Hessen, im Sommer kei Fraa und im Winter nichts zu esse“:

Josef Reichwein rückte am 31.08.1939 nach Linter ein und kam an die Westgrenze nach Hambach bei Neustadt. Nach dem Überfall auf Polen am 01. September 1939 erklärten England und Frankreich aufgrund von vertraglichen Vereinbarungen mit Polen Deutschland den Krieg.

Allerdings schlugen England und Frankreich an der Westgrenze nicht militärisch los, vielmehr war in Frankreich alles der Verteidigung der Maginotlinie untergeordnet, jener Hauptwiderstandslinie Frankreichs an der nach französischer Auffassung jeder feindliche Ansturm scheitern müsse.

In diesen ersten Monaten gab es also ein Stillhalten an der Westgrenze.

In der Tageskalenderaufzeichnung vom 11. April 1940 ist festgehalten:

Zum ersten Mal Grüße an den Franzmann mit meinem Geschütz, in Feuerstellung an der Bildstraße ist alles gut abgelaufen, der Franzmann hat sich auch gleich wieder bedankt“.

Ab dem 11. April kommt es also zu gelegentlichem Artilleriefeuer, jedoch weder von französischer noch von deutscher Seite zu Angriffen, die auf Geländegewinn abzielten.

Die relative Ruhe an der Westgrenze war dem Umstand geschuldet, dass sich das Oberkommando der Wehrmacht (OKW) nicht über das optimale Angriffsszenario einig war.

Jedoch: Am 11. Mai 1940 erfolgte der Angriff auf Frankreich durch den Überfall auf das nördlich liegende neutrale Holland und Belgien. Große Gefechte spielten sich ab diesem Datum um Sedan und an der Maas ab, während es im Frontabschnitt von Josef Reichwein immer noch relativ ruhig blieb.

So notiert Josef am 03. Juni: „Einigermaße gut geschlafen. Dorf unbewohnt. Alles wieder in Ordnung machen zum Abmarsch in St. Ingbert. Morgens 4 Uhr. Ein ganz toller Ritt, aber alles gut gegangen. Mittags 5 Uhr ab Ingbert über Saarbrücken nach Klarental. Ankunft abends 10 Uhr.“

Am 09. Juni lautet die Eintragung: „Die Nacht am Waldrand geschlafen 200 m vom Franzmann. Sonntagmorgen heißt es, ich weiß aber nicht wo man dran ist.

Soeben war Jost Franz (Enemasch) bei mir. Er hat sich gefreut, mal einen Eisenbacher zu sehen. Wir liegen direkt bei der Infanterie können von hier in die Bunker sehen. Unser Auftrag ist, wenn es losgeht, die zu erledigen.“

Im Norden erfolgten die Angriffe auf Frankreich mit Panzereinheiten mit einer beispiellosen Wucht.

Josef Reichwein wurde am 14. Juni 1940 um 8 Uhr abends durch einen Bauchschuss verwundet und starb am 15. Juni um 8 Uhr morgens im Lazarett in Sulzbach (Saarland).

Ob es sich um die Kugel eines französischen Scharfschützen handelte – oder einfach um einen Querschläger – wurde nie geklärt.

Die Ehefrau Anna Maria geb. Jost wurde vom Kompaniechef Weinand sofort von der Verwundung ihres Mannes unterrichtet. Über Kontakte zur Familie Lottermann aus Bad Camberg (der älteste Sohn Edgar Reichwein war zu dieser Zeit als Autoschlosser Lehrjunge beim Autohaus) erklärte sich Wilhelm Lottermann sofort bereit, sie zu ihrem Mann ins Lazarett zu fahren. Allerdings erreichte sie dort nur noch ihren toten Ehemann.

Die Beerdigung erfolgte auf dem Soldatenfriedhof in Neukirch.

Im Mai 1963 erfolgte eine Umbettung nach Besch an der Luxemburger Grenze.

Glücklicherweise war Josef Reichwein – im Gegensatz zu vielen anderen Kriegstoten – auf einem Soldatenfriedhof beerdigt. Die Familie hatte damit einen Ort der Trauer, der in späteren Jahren, als der Autobesitz auch in Eisenbach regelhaft wurde, aufgesucht werden konnte.

So stand die Ehefrau Anna Maria mit vier Kindern und einer bescheidenen Kriegerwitwenrente ohne den Haupternährer der Familie vor der Aufgabe, allein für die Familie zu sorgen.

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