Der Vermisstenfall Josef Lehr

Von Christian Heinz Transkription: Leon Pätzold

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Josef Lehr wurde am 13. August 1913 in Eisenbach im Taunus geboren und war verheiratet mit Anna Lehr. Im zivilen Leben, vor seiner Militärzeit, war er von Beruf Anstreicher.

Wann Josef Lehr zur Wehrmacht einberufen wurde, ist – aufgrund kriegsbedingter Verluste – nicht mehr feststellbar. Laut dem Bundesarchiv – Abteilung Personenbezogen Auskünfte (ehemals Deutsche Dienstelle, auch als Wehrmachtsauskunftsstelle bekannt) ist den Erkennungsmarkenverzeichnissen und Veränderungsmeldungen der Wehrmacht Folgendes zu entnehmen: Stamm-Kompanie Landesschützen-Ersatz- und Ausbildungs-Bataillon 12 (1943).

Seine Erkennungsmarke lautete auf eben genannte Einheit. Nummer 1217. Das impliziert, dass er in dieser Einheit seinen Grundwehrdienst leistete.

„Die Aufstellung des Landesschützen-Ersatz-Bataillon 12 erfolgte am 3 März 1940 in Wiesbaden, im damaligen Wehrkreis XII. Am 1. Oktober 1942 wurde das Bataillon in je ein Landesschützen-Ersatz-Bataillon 12 und ein Landesschützen-Ausbildungs-Bataillon 12 geteilt. Am 1. April 1943 wurden beide Bataillone zum Landesschützen-Ersatz- und Ausbildungs-Bataillon 12 zusammengelegt.“

Quelle: Lexikon der Wehrmacht.de

Zudem teilte das Bundesarchiv mit, dass den Erkennungsmarkenverzeichnissen und Veränderungsmeldungen der Wehrmacht für Josef Lehr noch Folgendes zu entnehmen ist:

Josef Lehr gehörte im Jahr 1943 dem Nachschub-Kompanie Kommandeur der Divisions-Nachschub-Truppen 190 an, der Stamm-Kompanie Grenadier-Ersatz- und Ausbildungs-Bataillon 87 sowie der Genesenden-Kompanie Kraftfahr-Ersatz- und Ausbildungs-Abteilung 23 und der Marsch-Kompanie Kraftfahr-Ersatz- und Ausbildungs-Abteilung 23.

Da dem Autor nicht bekannt ist, dass ein Soldat mehreren Einheiten gleichzeitig angehörte, kann es nur so sein, dass Josef Lehr den eben genannten Einheiten hintereinander angehörte. Da alle Einheiten für das Jahr 1943 gemeldet wurden, kann es nur so sein, dass er allen Einheiten 1943 angehörte. Das ist wahrscheinlich eher ungewöhnlich und war wahrscheinlich mehr Ausnahme als Regel, dass ein Soldat so vielen Einheiten in einem Jahr angehörte.

„Die Nachschubtruppe war eine Truppengattung des Heeres der deutschen Wehrmacht und Waffen-SS, die gemäß Verfügung des Oberkommandos der Wehrmacht vom 14. Oktober 1942 zu den Versorgungstruppen des Heeres zählte und mit Fahrtruppe, Verwaltungs- und Sanitätseinheiten die Rückwärtigen Dienste eines Großverbandes bildete.

Entladung, Umschlag und Verladung übernahm die Divisions-Nachschubkompanie, so dass Fahrer und Beifahrer den dafür erforderlichen Zeitraum für den technischen Dienst an den Kraftfahrzeugen bzw. die Versorgung der Pferde nutzen konnten.“

Quelle: Wikipedia

„Das Bataillon wurde am 29. August 1939 in Wiesbaden, im Wehrkreis XII, aufgestellt. Am 15. Oktober 1941 wurde das Bataillon motorisiert. Dadurch lautete die neue Bezeichnung Infanterie-Ersatz-Bataillon (motorisiert) 87. Am 1. Oktober 1942 wurde das Bataillon in Wiesbaden in je ein Infanterie-Ersatz-Bataillon (motorisiert) 87 und ein Infanterie-Ausbildungs-Bataillon (motorisiert) 87 geteilt. Beide Bataillone wurden am 7. November 1942 in Grenadier-Ersatz-Bataillon (motorisiert) 87 bzw. Grenadier-Ausbildungs-Bataillon (motorisiert) 87 umbenannt. Am 1. April 1943 wurden beide Bataillone zum Grenadier-Ersatz- und Ausbildungs-Bataillon 87 vereinigt, das neue Bataillon war nicht mehr motorisiert.“

Quelle: Lexikon der Wehrmacht.de

„Am 1. Oktober 1942 wurde die Abteilung in je eine Kraftfahr-Ersatz-Abteilung 23 und einer Kraftfahr-Ausbildungs-Abteilung 23 geteilt. Beide Einheiten unterstanden ab dem 1. April 1943 der Division 463. Die beiden Abteilungen wurden am 15. April 1943 als Kraftfahr-Ersatz- und Ausbildungs-Abteilung 23 in Sorau vereinigt.“

Quelle: Lexikon der Wehrmacht.de

Josef Lehrs Dienstgrad war zuletzt Schütze bzw. Panzergrenadier. Er diente zuletzt im Panzer-Grenadier-Regiment 394, das zur 3. Panzer-Division gehörte.

„Das Panzer-Grenadier-Regiment 394 wurde am 5. Juli 1942 in Südrussland aufgestellt. Das Regiment entstand durch die Umbenennung des Schützen-Regiment 394. Nach der Aufstellung wurde das Regiment weiterhin der 3. Panzer-Division unterstellt. Das Regiment wurde weiter im Süden der Ostfront eingesetzt.“

Quelle: Lexikon der Wehrmacht.de

„Ein Panzergrenadier ist ein Soldat, der im deutschen, österreichischen und Schweizer Militär sowohl aufgesessen im Schützenpanzer als auch abgesessen als Infanterist kämpft. Er ist Teil der Panzertruppe und unterstützt die Kampfpanzer im Gefecht, wobei er sowohl gegen feindliche Infanterie als auch gegen gepanzerte Fahrzeuge vorgeht.“

Quelle: Google KI

Seit Januar 1944 ist keine Nachricht mehr von Josef Lehr bekannt bzw. es fehlt von ihm jede Spur.

Laut Bundesarchiv gilt er seit dem 10.01.1944 als vermisst, seit 6 Uhr morgens, etwa 2 km nordwestlich des Dorfes Wladimirowka (Volodymyrivka, Cherkasy Oblast), 25 km nordwestlich von Kirowograd (südliche Zentral-Ukraine) – laut Mitteilung der Dienststelle der Feldpostnummer 05203 vom 04.10.44.

Er ist in der sog. Kirowograder Operation verschollen, die vom 5. bis 16. Januar 1944 andauerte.

„Die 2. Ukrainische Front unter Iwan Konew sollte die deutsche 8. Armee im Raum Kirowograd angreifen. Am 5. Januar 1944 begann die Offensive gegen das deutsche III. und XXXXVII. Panzerkorps. Deutsche Gegenschläge der Panzer-Grenadier-Division Großdeutschland und die 3. und 11. Panzer-Division konnten den Vorstoß der Roten Armee am 10. Januar endlich stoppen und westlich der Stadt die Front stabilisieren.“

Quewlle: https://de.wikipedia.org/wiki/Dnepr-Karpaten-Operation

Die nächsten Einträge auf der Karteikarte lauten:

  • 27.2.50 Auf Aufruf der Gemeinde Eisenbach Kreis Limburg / Lahn 25.1.50 Vermisstenmeldung mitgeteilt.
  • 23.10.52 Registerfall. München Nr. 804198

Weiter wurde auf der Karteikarte am 08.05.1944 das Datum 27.09.1943 festgehalten. Leider kann dieser Eintrag nicht entschlüsselt werden. Lediglich das letzte Wort des Eintrags der Zeile, nämlich, „Pontedera” ist zu entziffern – eine Stadt in Nordwestitalien, nahe der Mittelmeerküste.

Der nächste Eintrag, ebenfalls vom 08.05.1944, lautet: 6.11.1943 Kraftfahr-Ersatz- und Ausbildungs-Abteilung 23, Sorau

Am 06.11.1944 folgen weitere Einträge auf der Karteikarte:

  • 10.1.1944 wahrscheinlich gefangen, 2 km nordwestlich Wladimirroka
  • 16.11.1944 u. an Wehrmachtsstandortältesten Limburg/Lahn Meldung und Merkblatt an Ehefrau und nachrichtlich an Wehrmachtsfürsorgeoffizier Koblenz.
  • 26.7.44 Anfrage Ehefrau
  • 9.8.44 Über Marschbataillon III / 3. Panzerdivision 8 bezw. (Abkürzung für beziehungsweise?) über Verbleib des Lehr angefragt. Erkennungsmarke eingelagert. Bei dem Wehrkreiskommando III Berlin Grunewald

Anmerkung des Autors: Das ist eher ungewöhnlich, dass eine Erkennungsmarke eingelagert wurde.

  • 5.7.44 Anfrage Wehrmachtsfürsorgeoffizier Koblenz
  • 17.5.44 Anfrage Wehrmachtsstandortältesten Limburg/Lahn

„Der Standortälteste der Wehrmacht war der rangdienstälteste Offizier im jeweiligen Standort, der die Befehlsgewalt über die Truppen und Einrichtungen des Standorts hatte. Er regelte den Standortdienst und die Verwendung der Truppen bei militärpolizeilichen Aufgaben und Notständen. In Standorten mit einer Kommandantur war der Kommandant automatisch der Standortälteste. Er war unter anderem verantwortlich für die Zusammenarbeit zwischen den Truppen und den zivilen Behörden.

Ein Wehrmachtfürsorgeoffizier war ein Offizier, der für die soziale und materielle Versorgung der Soldaten der Wehrmacht und deren Hinterbliebenen zuständig war. Diese Fürsorge umfasste verschiedene Bereiche wie Unterkunft, Verpflegung, Gesundheitsversorgung, finanzielle Unterstützung und die Betreuung von Kriegsopfern und deren Familienangehörigen.“

Quelle: Google KI

Es wurde eine weitere Karteikarte mit verschiedenen Eintragungen für Josef Lehr angelegt:

  • 7.12.60 Keine Heimkehr Erklärung vorliegend
  • 8.12.60 dem Amtsgericht Camberg (Nassau) auf Anfrage vom 24.11.60 Aktenzeichen II 10/60 nach verbleib mitgeteilt. Vermisst: Meldung d. 6. Kompanie, Panzer Grenadier Regiment 394
  • 30.5.61 Durch Beschluß des Amtsgericht Camberg Nassau vom 7.3.61 Aktenzeichen II 10/60 für tot erklärt. Todeszeitpunkt 31.12.1945, 24 Uhr
  • 26.2.74. Auf Anfrage des Suchdienstes München vom -/-(Gruppennachforschung E/-) Vermisstenmeldung mitgeteilt.

Im Jahr 2007 erfolgte die letzte Eintragung auf der Karteikarte: Auf Interne Anfrage vom 09.08.07, VDK-Kassel mitgeteilt Vermisstenmeldung, Verbleib nicht bekannt.

Die Ehefrau Anna Lehr fragte noch während des Krieges über den Verbleib ihres Ehemannes nach. Seine Erkennungsmarke wurde anscheinend eingelagert. Er muss sie also verloren haben bzw. sie muss ihm irgendwie abhandengekommen sein. Entweder selbst weggeworfen (eher unwahrscheinlich) oder ihm abgenommen und sofort auf den Boden geworfen (vielleicht). Sein Leichnam wurde nicht gefunden. Das bedeutet nicht, dass Josef Lehr bei den Kämpfen nicht getötet wurde. Eine Registrierung in einem sowjetischen Kriegsgefangenenlager ist ebenfalls unbekannt. Sofern er von sowjetischen Soldaten gefangen genommen wurde, wurde er eventuell abgeführt und ist an einem unbekannten Ort verstorben. Vielleicht starb er durch eine tödliche Schussverletzung, die ihm unmittelbar nach der Gefangennahme zugeführt wurde oder auf andere unbekannte Art und Weise auf den Weg in ein Kriegsgefangenlager. Möglicherweise wurde er bei den Kämpfen verletzt und verblutete ein Tag oder ein paar Tage später auf den Weg in ein Gefangenenlager.

Anna Lehr starb Anfang der 1990er Jahre, ohne jemals über das Schicksal ihres Mannes genau gewusst zu haben.

Ohne die Erkennungsmarke ist es unmöglich, einen Toten zu identifizieren, selbst wenn man die sterblichen Überreste findet. Josef Lehr bleibt daher für immer vermisst. Ebenso werden sich der Todesort und die Todesumstände nie (mehr) klären lassen.

Ausschnitt der Karteikarte zu Josef Lehr. Bildquelle: B 563-1 Kartei/L-361-221

Quellen:

Bundesarchiv: Zentrale Personenkartei der Deutschen Dienststelle (WASt), B 563-1 KARTEI/ L-361-221

Wehrmachtlexikon:

https://www.lexikon-der-wehrmacht.de/Gliederungen/LandschtzErsBat/LandschtzErsBat12-R.htm

https://www.lexikon-der-wehrmacht.de/Gliederungen/InfErsBat/InfErsBat87-R.htm

https://www.lexikon-der-wehrmacht.de/Gliederungen/KraftfahrAbtErs/KraftfahrAbtErs23-R.htm

https://www.lexikon-der-wehrmacht.de/Gliederungen/Panzergrenadierregimenter/PGR394-R.htm

Wikipedia:

https://de.wikipedia.org/wiki/Nachschubtruppe_von_Wehrmacht_und_Waffen-SS#:~:text=Die%20Nachschubtruppe%20war%20eine%20Truppengattung,R%C3%BCckw%C3%A4rtigen%20Dienste%20eines%20Gro%C3%9Fverbandes%20bildete.

https://de.wikipedia.org/wiki/Dnepr-Karpaten-Operation

https://de.wikipedia.org/wiki/3._Panzer-Division_(Wehrmacht)

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