Die allgemeine Entwicklung in Deutschland Ende des 19. Jahrhunderts vom Agrar- zum Industriestaat ging in unserer Heimatgemeinde langsam voran. Die Landwirtschaft war bis zum Zweiten Weltkrieg für die meisten Einwohner ein entscheidender Faktor.
Von den ca. 400 Haushalten waren nur ca. 40 vollbäuerliche Betriebe, aber fast jeder Haushalt bebaute einige Äcker, um den Lebensunterhalt zu sichern. In der Zeit der großen Arbeitslosigkeit von 1929 bis 1934 war diese Selbstversorgung für alle Einwohner eine enorme Hilfe. Die Nichtlandwirte, der überwiegende Teil der Bevölkerung, hatten zur Bestellung ihrer Felder einen Bauern, dem sie dann als „Heephaarer“ die Arbeit nicht nur finanziell vergüteten, sondern auch als Hilfskräfte, besonders in der Erntezeit, zur Verfügung standen. Ihr nicht gerade hoher Arbeitslohn wurde dann Ende des Jahres mit dem Bauern gegen seine „Ackerrechnung“ aufgerechnet. Einige dieser „geringen Leute“ (Nichtlandwirte) besaßen eine Milchkuh, aber jeder ohne Ausnahme war Halter von einer oder mehreren Ziegen. In Eisenbach gab es nach dem Zweiten Weltkrieg noch über 400 Ziegen. Doch selbst das Füttern dieser „Kühe des keinen Mannes“ war für ihre Besitzer oft ein Problem: Es fehlten die entsprechenden Grünflächen. So war das Futter in den „Gewannewegen“, das jährlich zur Heuernte von der Gemeinde versteigert wurde, oft Streitobjekt unter den Interessenten. Nach der Grummeternte jedoch war für die Ziegen die große Weidezeit. Der „Gasehert“ (Ziegenhirte) sammelte jeden Mittag durch Hornsignal seine Schützlinge und kam abends, ebenfalls schon von weitem hörbar, mit Hornsignal zurück. Bei diesem Ton waren besonders die Kinder aufgerufen, die mit dem Ruf „Hewele, Hewele, Gase kumme“ die gesättigten Milchlieferanten zu den heimischen Ställen holten. Der letzte Vertreter dieser Ziegenhirtengilde war „Ollop“, mit bürgerlichem Namen „Theo Kram“.
Auch sonst war das dörfliche Leben ganz dem landwirtschaftlichen Jahresablauf angepasst. Die Hauptbelastung brachte die Erntezeit. Die Heuernte wurde durch die Ortsschelle bekanntgemacht und nahm im „Obersten Grund“ ihren Anfang. Morgens um 3 Uhr zogen die Mäher, mit Sensen bewaffnet, los, denn der Nachttau war für den Schnitt unbedingt wichtig. So wurde der ganze Grund nach und nach abgemäht, und die „Aa“ bildete den Schluss.
Natürlich verlief diese Zeit nicht ohne amüsante Zwischenfälle: Es war im Obersten Grund zur Zeit der Heuernte. Auf sämtlichen Wiesen waren Leute an der Arbeit und machten „Haa“. Da dies längere Zeit dauerte und das Mähen „Knochenarbeit“ war, wurde ein kräftiges Frühstück (Brot, Butter, Wurst, gekochte Eier und eine blecherne Milchkanne mit Kaffee) in einem „Henkelkorb“ mitgenommen. Während die Mäher arbeiteten, kam ein streunender Hund aus dem Wald, der aber nicht weiter beachtet wurde. Plötzlich gab es Schreie: Eine Frau hatte den Hund erblickt, der gerade ihren Frühstückskorb inspizierte. Der Hund wurde durch die Schreie aufgeschreckt und hob den Kopf. Als die Frau wild gestikulierend auf ihn zulief, nahm er schleunigst Reißaus – mit dem Korb um den Hals. Erst etliche Wiesen weiter konnte er gestellt und von seiner Last befreit werden, zum Gaudi der gesamten Schnitter.
Die anschließende Getreideernte war mühevoller. Da wurden mit Reff (Sense mit halbrundem Aufsatz) und Sichel in glühender Hitze die goldenen Ähren zu „Klecken“ (ausgebreitete Ährenbündel) in die Stoppeln gelegt. Der geplagte „Einhauer“ hatte nur dann eine kurze Rast, wenn er aus dem wassergefüllten „Schlockerfaß“ (Gefäß, wird am Gürtel getragen) den Wetzstein zum Schärfen seiner Sense holte. Das Binden der Garben erfolgte einige Tage später, wenn die Klecken gut abgetrocknet waren. Die Garben wurden mit gedrehten Strohseilen gebunden und einem ca. 50 cm langen Stock, der an einer Seite angespitzt war, geknebelt. Anschließend wurden sie zu „Hausten“ zusammengestellt. Damit war aber die Mühe bei weitem nicht zu Ende. Die Frucht musste eingefahren werden. Bei dieser Tätigkeit war wieder der Bauer der gefragte Mann. Die Garbenbündel lagerten zunächst in der Scheune und wurden im Winter gedroschen, wenn die Männer, die als Bauarbeiter im Sommer „in der Fremde“ waren, die erzwungene Winterpause machen mussten. Bis in die zwanziger Jahre drosch man von Hand, d. h. mit dem Dreschflegel. Dabei war das Dreschen mit dem Dreschflegel gar nicht so einfach: Zunächst wurden etwa sechs Garbenbündel in zwei Reihen mit den Ähren zueinander auf den freien, lehmgestampften Platz in der Scheune (,,Tenne“) gelegt. Die Drescher gingen nun im Kreis um die Garben und schlugen mit rhythmischen Schlägen auf die Ähren ein. Der Dreschflegel durfte dabei nicht fest in der Hand liegen, sonst war auch das Ledergelenk starr. Nun wurde die Hälfte der Bündel ausgeschüttelt und vorerst auf die Seite gelegt. Die anderen Bündel wurden geöffnet und auseinandergebreitet. Nach etlichen Schlägen wurden die Halme gewendet und von der anderen Seite ausgedroschen. Die Getreidekörner wurden nun auf einem Sieb in eine handgetriebene „Windmühle“ geschoben und so die Spreu vom Korn getrennt. Dies war eine sehr staubige Angelegenheit, und die Arbeiter mussten öfters die Kehlen mit dem flüssigen „Korn“ (Dauborner) befeuchten. Auf jeden Fall war das Dreschen eine anstrengende Arbeit. Später kamen fremde Dreschmaschinen ins Dorf, die von Gehöft zu Gehöft fuhren.
Anfangs wurde dieses „Rücken“ der Maschinen mit Pferde- und Muskelkraft, später mit Motorkraft betrieben. Es war eine besondere Atmosphäre im Dorf, wenn einige Wochen lang das monotone Geräusch der Dreschmaschinen zu hören war. Die erste „eiserne“ Dreschmaschine war noch dampfgetrieben. Hier kamen vor allem die Buben zum Einsatz, die als Wasserträger eine wichtige Funktion hatten. Als Secke Lorenz 1925 mit einer eigenen Dreschmaschine nach Eisenbach kam, wurde vor dem Dorf ein fester Dreschplatz (heute Autowerkstatt Weichel) errichtet. Aber fragt nicht, welchen Wirbel diese Drescherei oft verursachte: Jeder war bemüht, seinen festgesetzten Termin zu halten. Kam jedoch durch Maschinenschaden der Terminplan ins Wanken, dann war der Teufel los! Jeder wollte möglichst schnell seinen Getreidewagen zur Maschine rollen, und dabei ging es nicht immer zimperlich zu. Oft gab es herbe Worte und Streit unter den schweißgebadeten Dreschern. Zweimal wurde durch Feuer nicht nur die Dreschmaschine außer Betrieb gesetzt, sondern auch der Ernteertrag vernichtet.
Auf die Getreidemahd folgte die Kartoffelernte. Sehr oft herrschte schlechtes, kaltes Herbstwetter, und die Erdäpfel mussten regelrecht mit klammen Fingern „ausgeknatscht“ werden. Mit dem Essenskorb auf dem Kopf, dem ein „Kitzel“ (ringförmiger Stoffschlauch, mit Heuspreu gefüllt) etwas den Druck nahm, versorgten die Essensträgerinnen die Erntehelfer mit der notwendigen Verpflegung.
So um die Zeit der Kerb (25. September) war die Haupternte eingebracht. Jetzt reiften die „Quetschen“ (Pflaumen), und auf dem Kerwetisch war frischer Quetschenkuchen eine besondere Leckerei. Es war auch die Zeit, in der „Quetschelaquäje“ (Latwerch, Pflaumenmus) gekocht wurde. Dies war für die Frauen und Jugendlichen eine fröhliche und mit viel Spaß verbundene Periode. Die Frauen der Nachbarschaft kamen am Abend zum „Quetschekerne“ zusammen. Bei fröhlichem Geplausch und Tratsch wurden die Zwetschen von den Kernen getrennt, das Fruchtfleisch wurde am nächsten Tag im großen Waschkessel unter ständigem Rühren zu dem bekannten und begehrten „Quetschelaquäje“ gekocht. Die Jugendlichen aber nahmen sich der Kerne an und streuten sie auf Treppen und in Eingänge. Dieses Gaudi war natürlich nicht gerade zur Freude der Bedachten, und oft kam es zu Verfolgungen durch aufgebrachte Familienoberhäupter.
Bei der Gartenernte war der Weißkohl („Kraut“) eine örtliche Besonderheit. Das Kraut wurde hauptsächlich zu Sauerkraut verarbeitet. Nachdem die äußeren Deckblätter des Kohlkopfes entfernt waren, wurde das Kraut gehobelt. Da kaum ein Haushalt einen eigenen Krauthobel hatte, war dies die Aufgabe der „Wahner-Dorth“ (Dorothee Brück), die gegen geringes Entgelt abends von Haus zu Haus ging, um Kraut zu hobeln. Dabei war sie einem ausgedehnten Schwätzchen nicht abgeneigt.
Früher wurde Kirchweih später im Jahr gefeiert – Martini „legte die Kerb“.
Es war eine willkommene Abwechslung im dörflichen Alltag, wenn die „Reitschulsleut“ mit ihren von Pferden gezogenen Wohn- und Gerätewagen eintrafen. Zudem stammte die „Reitschuls Christel“ von Niederselters und war mit den Eisenbachern gut bekannt. Vor allem die Kinder vergaßen auf dem Dorfplatz ihre täglichen Pflichten. Vor ihren erstaunten Augen erstand ein zweistöckiges Karussell: unten Schaukelpferde und Kutschen (Chaisen, ,,Scheßercher“) für die Kinder und ein Stockwerk höher Schaukelschiffchen und Kessel für die Jugendlichen. Im Inneren der „Reitschule“ ging ein Zugpferd im Kreis und setzte so das Karussell in Bewegung. Die Musik kam von einem Leierkasten. Für das leibliche Wohl sorgten die „Standleut“, die mit einem Handwagen mit Magenbrot und Makronen eintrafen und nachts bei Bauern in der Scheune schliefen.
Der Abschluss der Jahresmühen war der ersehnte Schlachttag. Fast jede Familie hatte ein Schwein gemästet, und alle freuten sich nun auf das „Kesselfleisch“ und die frische Wurst. Der Schlachttag war so bedeutungsvoll, dass der kleine Wilhelm in der Schule auf die Frage nach den höchsten Feiertagen im Jahr prompt antwortete: „Kerb, Fassenacht und wann mer schlachte!“ An diesem Tag wurde schon in aller Frühe im großen Waschkessel Wasser heiß gemacht, um die Schweinsborsten abzubrühen. Ein Nachbar oder Freund wurde bestellt, um „greifen“ zu helfen, d. h. behilflich zu sein, wenn nach dem Betäubungsschlag mit der Axt – Schussapparate gab es erst viel später – das arme Borstenvieh zum Abstechen umgerissen wurde. Der Hausschlachter brachte seine eigene Moul (Holzwanne) mit. Es waren meistens keine professionellen Metzger, sondern Männer in anderen Berufen, die das Hausschlachten nebenbei erlernt hatten und betrieben. In früheren Jahren sind als besonders bekannte Hausschlachter zu nennen: der offizielle Metzger, Meuerperersch Peter und seine Brüder Johann und Heinrich, auch „Bäckersch Johann und Heinrich“ genannt, sowie der „Noahlschmids Franz“, der „Annebore Hannes“ und „Worenersch Jupp“. Nach der Prozedur des Tötens wurde das Schwein zum Auskühlen auf eine Leiter gehängt. Dann kam der Fleischbeschauer und drückte nach der Untersuchung seinen Stempel auf. Nach dem Mittagessen wurde das Schwein zerlegt („verhauen“), das Fett musste ausgelassen und das Fleisch zerkleinert werden. Stellte sich nach dem Wurstmachen heraus, dass die Mischung versalzen war, so war dies mit Sicherheit auf den „Dauborner“ zurückzuführen.
Die vielen Eisenbacher Bauarbeiter waren in den Wintermonaten saisonbedingt arbeitslos. Einige hatten durch ihre Arbeit im Holzwald ein geringes Einkommen – Arbeitslosengeld gab es noch nicht. Diese soziale Hilfe wurde erst mit Beginn der Weltwirtschaftskrise im Jahre 1929 geschaffen. Für die Arbeitslosen war der „Ib“ ein beliebter Treffpunkt, da sie hier sitzen konnten, ohne etwas zu verzehren. „Ibsches Wilhelm“ (Wilhelm Böcher) und seine Schwester „Gretchen“ verdienten ihren Lebensunterhalt mit einem kleinen Lebensmittelladen und durch Verkauf von Farben, die Wilhelm selbst herstellte. Oft konnte Gretchen kein Mittagessen kochen, weil ihre Küche voll Männer saß, die nicht rückten. Obwohl sie über diese Versammlungen schimpfte, hatte sie ein gutes Herz und für manchen hungrigen Arbeitslosen einen Teller Suppe übrig. Auch Wilhelm war sehr hilfsbereit. Da er gut schreiben konnte, war er der inoffizielle Dorfschreiber, der jedermann mit Rat und Tat half.
Wenn die alten Eisenbacher von der technischen Entwicklung in Eisenbach reden, so fällt unweigerlich der Name „Jurre Sally“. Sally (geboren 1897) fuhr das erste Auto in Eisenbach, und er war der erste, der ein Radiogerät besaß (ca. 1925). Mit einigen Freunden gründete er den „Club Fidelio“, der die Dorfbewohner mit dieser sensationellen Erfindung bekanntmachen wollte. Zu diesem denkwürdigen Ereignis wurde das Radiogerät im Saal aufgebaut, doch die Technik hatte ihre Tücken. Das Urteil der Freunde war: Die Erdung war nicht tief genug! Doch sie wussten sich zu helfen: Sie legten ein langes Kabel bis in einen Brunnen in der Kirchstraße! Nach langem Probieren mit dem Gerät hatten sie Erfolg: Im vollbesetzten Saal vernahmen die Eisenbacher das erste Knattern und Rauschen aus dem Äther!
Die Landwirtschaft prägte den Jahresablauf im Dorf genauso wie den Ablauf des Tages. Die Menschen hatten ihre täglichen Pflichten, denn das Vieh will auch an Sonn- und Feiertagen sein Futter. Trotzdem waren die Leute ausgeglichener als heute, sie hatten Zeit und nahmen sich Zeit. Nach getaner Arbeit saß man beisammen, erzählte und „lebte“ miteinander. Die Abende wurden nicht durch das Fernsehprogramm oder irgendwelche Termine eingeteilt, kein Auto- oder Mopedlärm störte die „Schwätzchen“ unter der Linde, auf der Mauer oder auf der Haustreppe.
Autoren: Mechtild Kaiser / Willi Köhler
Das Bild von der Kartoffelernte: Es ist Ewald Gattinger I (Liese Ewald). Wenn möglich, dies auch in der Bildergalerie entsprechend ändern. Danke
Super gemacht, vielen Dank Frank