Von Dr. Bernd A. Weil
Eisenbach von 1848 bis 1914
1848 gehörte die Gemeinde Eisenbach zum herzoglich-nassauischen Amt Idstein. Die Unterlagen aus dem Jahre 1841 geben die Bevölkerungs- und Wohnverhältnisse relativ detailliert wieder: Gemarkungsfläche 4.531 Morgen (= 1.132,75 Hektar), Anzahl der Wohnhäuser 213, Einwohnerzahl 1.196, davon 1.165 Katholiken, 11 Protestanten und 20 Juden. Im Durchschnitt lebten also etwa 6 Personen in einem Haushalt.
Die häufigsten Berufsbezeichnungen im 19. Jahrhundert waren Ackers- oder Landmann (Landwirt), Taglöhner und Handwerker. Doppelberufe waren keine Seltenheit, vor allem wenn die Landwirtschaft, der Haupterwerbszweig, alleine nicht mehr für die Ernährung der meist vielköpfigen Familie ausreichte. Nach dem allmählichen Niedergang zahlreicher kleinbäuerlicher Betriebe entwickelte sich Eisenbach im vergangenen Jahrhundert nach und nach zu einer Gemeinde der Bauhandwerker. Nach der Schulentlassung arbeiteten die männlichen Jugendlichen vom Frühjahr bis in den Spätherbst auswärts als Lehrjungen oder Handlanger. 1853 gab es in unserem Dorf neben den Landwirten vor allem Maurer, Tüncher und Zimmerleute, die im Sommer „in der Fremde“ arbeiten mussten.
Ein Handwerksunternehmen konnte erst mit zwei Gesellen und einem Lehrling kapitalbildend produzieren; das bedeutete, dass die kleineren selbständigen Gewerbetreibenden ständig einer wirtschaftlichen Bedrohung ausgesetzt waren.
Um die Mitte des 19. Jahrhunderts musste vor allem die Arbeiterschaft die Folgen der industriellen Revolution tragen. In der Deutschen Revolution von 1848/49 lehnten sich die neuen Volkskräfte, die Industriearbeiter, gegen die alten Mächte, gegen Fürstenmacht und Adelsvorherrschaft, sowie gegen das neue Besitzbürgertum und seinen Kapitalismus auf. Als Folge von Missernten gab es um das Jahr 1848 zum Teil relativ hohe Preissteigerungen für Grundnahrungsmittel wie Brot, Kartoffeln („das Brot der Armen“), Fleisch und Mehl. Großen Teilen der Eisenbacher Bevölkerung fehlte es an Geld, Lebensmitteln und vor allem an Arbeit. Die schwersten Probleme dieser Misswachsjahre hatten die Landwirte zu tragen.
Zu den häufigsten Nahrungsmitteln um die Mitte des vergangenen Jahrhunderts zählten Brot, Kartoffeln, Mehlspeisen, Gemüse, Obst und Milch, seltener Fleisch. Nur die wohlhabenderen Familien konnten diese Hauptnahrungsquellen mit Gebäcken aller Art, mit Butter, Latwerge (Fruchtmus), Käse, Kaffee, Salat, Bier, Wein und Branntwein (meistens „Dauborner Schnaps“) ergänzen. Jedoch zur Winterzeit wurde in den meisten Eisenbacher Haushalten ein fettes Mastschwein geschlachtet; dabei bekamen in der Regel auch die nicht schlachtenden Verwandten und Nachbarn etwas Wurstsuppe ab. Die Fleisch- und Wurstvorräte wurden in den kommenden Monaten streng rationiert, wobei der hart arbeitende Familienvater den „Löwenanteil“ erhielt. Bei festlichen Anlässen spielte die aus Branntwein, Zucker, Wasser und klein gewürfeltem Honigkuchen zusammengebraute Branntweinsuppe „Brocksel“) die durchgängige „Hauptrolle“.
Die Eisenbacher Häuser waren schon zu damaliger Zeit verhältnismäßig solide gebaut. Bei einem landwirtschaftlichen Betrieb gruppierten sich Wohnhaus, Scheune, Stall, Schuppen und Holzremise meistens in einem Viereck um den Hofraum. Die zumeist zweigeschossigen Fachwerkhäuser waren mit Schiefer, Ziegeln oder Stroh gedeckt. Fußböden, Mobiliar und Geräte wurden mit erdigem oder metallischem Scheuersand gereinigt. Eine Wasserpumpe in der Küche konnten sich nur die wohlhabenderen Familien leisten.
Im 19. Jahrhundert nahm die Bevölkerungsentwicklung Eisenbachs einen zum Teil recht stürmischen Verlauf: Bis zum Jahre 1851 stieg die Einwohnerzahl stark an, blieb bis 1866 relativ konstant und fiel bis 1871 auf 1.177 Personen. Nach dem Deutsch-Französischen Krieg (1870/71) zog es viele Menschen auf die Dörfer, so dass die Zahl der Eisenbacher Einwohner rapide auf 1.324 im Jahre 1874 anstieg. Danach nahm die Eisenbacher Bevölkerung stetig ab, bis im Jahre 1905 mit nur 1.177 Personen wieder der gleiche Stand wie 1871 erreicht worden war. Für diese Abwanderungstendenzen im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts gibt es mehrere Gründe. Als in Eisenbach 1874 ein Großbrand ausbrach, wurden 48 Familien obdachlos und verließen zum Teil das Dorf. Außerdem zogen in dieser Zeit einige Bauarbeiter-Familien aus wirtschaftlichen Gründen ins Siegerland oder ins Rheinland. Auch die Schließung der letzten Eisen- und Bleierzgruben in Eisenbach (1901 z. B. die Grube „Vereinigung“) und die Fertigstellung der eingleisigen Eisenbahnstrecke Köln-Frankfurt in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts spielten für die permanente Rückentwicklung der Bevölkerungszahl eine maßgebende Rolle. Nur eine verschwindend geringe Zahl Eisenbacher Bürger wanderte nach Amerika aus: 1857 und 1866 insgesamt nur drei Familien.
Die Gemeinde Eisenbach gehörte mit der Unterzeichnung der Rheinbundakte durch die in Paris versammelten Unterhändler der 16 deutschen Einzelstaaten seit dem 16. Juli 1806 zum Herzogtum Nassau. Am 9. Oktober des Jahres 1866 wurde Eisenbach preußisch. Der preußische Zivilkommissar von Diest verkündete an diesem Tag auf dem Schillerplatz in Wiesbaden vor preußischen Truppen und nassauischen Bürgern die Annexion (Einverleibung) des seit Jahrhunderten selbständigen Herzogtums Nassau in die preußische Monarchie König Wilhelms I. (1797 – 1888). Dies war die politische Folge der Entscheidung des Herzoges Adolf von Nassau, sich – entgegen dem Willen des nassauischen Landtages – am Deutschen Krieg von 1866 zwischen Preußen und Österreich auf der Seite der unterlegenen Österreicher zu beteiligen.
Infolge der schweren wirtschaftlichen Depression nach 1873 nahmen Armut, Not und Elend (vor allem für Land- und Heimarbeiter) ein unerträgliches Ausmaß an. Um aber die Arbeiterschaft der verfolgten Sozialdemokratie zu entfremden und stärker an den monarchistischen Staat zu binden, betrieb der deutsche Reichskanzler und preußische Ministerpräsident Fürst Otto von Bismarck (1815 – 1898) eine für damalige Verhältnisse fortschrittliche staatliche Sozialpolitik. Im Rahmen der neuen Sozialgesetzgebung wurde 1883 als erste Arbeiterversicherung die Krankenversicherung eingeführt, deren Kosten je zur Hälfte von Arbeitgebern und Arbeitnehmern aufzubringen waren. 1884 folgte die gesetzliche Unfallversicherung und 1889 die Alters- und Invaliditätsversicherung, die vom Deutschen Reich bezuschusst wurde. Die Leistungen der deutschen Sozialversicherung – vor allem zur Alters- und Invalidenversorgung – waren im Kaiserreich so niedrig angesetzt, dass sie häufig nicht einmal zur Befriedigung der notwendigsten Lebensbedürfnisse ausreichten. So betrug die durchschnittliche Höhe der Altersrente im Jahre 1891 nur 123,- Mark pro Jahr und stieg bis 1914 auf jährlich 164,- Mark; die Invaliditätsrente entwickelte sich im gleichen Zeitraum von durchschnittlich 113,- auf 201,- Mark im Jahr. In diesem Betrag waren 50,- Mark als Reichszuschuss enthalten. Diese Renten betrugen lediglich etwa ein Sechstel bis ein Fünftel des durchschnittlichen Jahresverdienstes eines Eisenbacher Arbeitnehmers in Industrie, Handel und Verkehr. Arbeitslosenunterstützung sowie die begrenzte Versorgung von Witwen und Waisen, die erst im Jahre 1912 gesetzlich eingeführt wurde, kannte man in damaliger Zeit noch nicht.
Durch die Einführung der Sozialversicherung ging die Kindersterblichkeit in Eisenbach drastisch zurück, und die bedeutendste Volkskrankheit dieser Zeit, die Tuberkulose, nahm infolge der besseren medizinischen Versorgung stark ab. Dennoch war Verarmung als Folge von hohem Alter und vorzeitiger Invalidität ein Schicksal, dem die Eisenbacher Arbeiter auch durch das zunächst nur locker geknüpfte Netz der sozialen Sicherheit meist nicht entgehen konnten. Dazu war die Durchschnittsrente viel zu niedrig und setzte zudem vor ihrer Gewährung einen so hohen Grad an Invalidität (67 Prozent) oder ein so hohes Alter (70 Jahre) voraus, dass die Masse der Eisenbacher Arbeiter ihre ursprünglich qualifizierten Arbeitsstellen bereits verloren und einen schmerzhaften Dequalifikationsprozeß durchgemacht hatten, ehe sie – sofern sie nicht vorher starben – überhaupt in den Genuss einer Rente kamen.
Vor dem Ersten Weltkrieg verdiente ein Eisenbacher Arbeitnehmer in Industrie, Handel und Verkehr im Durchschnitt etwa 1.000,- Mark Lohn im Jahr (ein Arzt erhielt rund das Dreifache). Je nach Dauer der Betriebszugehörigkeit erhielt er nur einen Tag Jahresurlaub.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde in Eisenbach der Versuch unternommen, den Bergbau mit neueren Methoden wieder produktiver zu gestalten. Der damaligen technischen Entwicklung entsprechende primitive Fördermethoden ermöglichten nur selten ein Abteufen (Sehachtbauen) tiefer als 10 bis 20 Meter, so dass der Bergbau insgesamt nur wenig rentabel war. Zu den in Eisenbach und Umgebung gefundenen Bodenschätzen zählten Eisenerz, Bleierz, Schiefer, Ton und Silber. Um die Jahrhundertwende befand sich zwischen Eisenbach und dem Hof zu Hausen eine Silbermine (,,Groub“), die vielen Arbeitern Beschäftigung bot, bis sie 1913 stillgelegt werden musste, da in unmittelbarer Nähe eine Ader des kostbaren „Selterswassers“ vorbei floss und eine Verschmutzung zu befürchten war.
Der Erste Weltkrieg (1914 – 1918)
Vor dem Ersten Weltkrieg lebten in Eisenbach etwa 1.200 Einwohner. Die Erklärung des „allgemeinen Kriegszustandes“ und die militärische Mobilmachung durch die deutsche Reichsregierung am 31. Juli 1914 brachte auch für die Eisenbacher Bevölkerung viel Not und Leid; 61 Soldaten fielen während des Krieges an den Fronten, die wirtschaftliche Lage war deprimierend.
Eisenbach in der Zeit der Weimarer Republik (1918 – 1933)
Nach der November-Revolution 1918 in Deutschland, als Hessen vorübergehend zur sozialistischen Republik erklärt wurde, erließ der „Rat der Volksbeauftragten“ (Ebert-Regierung) neue Wirtschaftsgesetze, in denen der 8-Stunden-Tag (bei sechstägiger Wochenarbeitszeit), die Erwerbslosenunterstützung und Tarifverträge erstmals gesetzlich verankert wurden. Die deprimierende Inflationszeit (Geldentwertung) Anfang der zwanziger Jahre brachte für die Eisenbacher Bevölkerung Angst und Sorge um die wirtschaftliche Existenz, wenn auch die relativ hohe Arbeitslosigkeit auf dem Lande infolge der vielen kleinen Landwirtschaftsbetriebe im allgemeinen erträglicher war als in den Städten.
Unter der Wirkung von Sachreparationen und inflatorischer Kreditpolitik der Reichsbank beschleunigte sich 1923 die anhaltende Inflation schlagartig zu lawinenartigem Ausmaß. Die Preise liefen den Löhnen und Gehältern davon. Die Leidensfähigkeit der Eisenbacher Bevölkerung wurde auf eine harte Probe gestellt. Hunger und nackte Not herrschten.
Die Preise wechselten nahezu stündlich. Briefmarken wurden ohne Aufdruck hergestellt; die Beamten trugen den gerade gültigen Stand per Hand ein. Am 1. November 1923 kostete ein Pfund Brot 260 Milliarden Reichsmark (RM), das Pfund Zucker 250 Milliarden RM, das Pfund Fleisch 3,2 Billionen RM. Der Tageslohn eines gelernten Eisenbacher Arbeiters betrug in den Industriezentren rund 3 Billionen RM.
Am 15. November 1923 entsprach 1 US-Dollar 4,2 Billionen Reichsmark. Neue Banknoten wurden überdruckt, noch bevor sie überhaupt in Umlauf kamen: Aus einer Reichsmark wurde eine Million, später sogar eine Billion; kaufen konnte man dafür so gut wie nichts.
Mit der Währungsreform vom 15. November 1923 wurde dem Spuk mit einer „Doppelwährung“ („Bimark“) das amtliche Ende verordnet: Von nun an entsprach eine Papiermark einer Rentenmark (Zwischenwährung) oder einer Goldmark.
Infolge des drastischen einheimischen Arbeitsplatzmangels zogen viele Eisenbacher Arbeiter in den sogenannten „goldenen zwanziger Jahren“ in die großen Industriegebiete wie das Rheinland, das Ruhrgebiet, das Bergisch-Märkische Land und das Sauerland. Die Bauarbeiter fuhren im Frühjahr „in die Fremde“ zu ihrer Arbeitsstelle und kehrten zum großen Teil erst im Spätherbst (etwa nach Allerheiligen) nach Hause zurück, was erhebliche soziale Probleme, wie zum Beispiel die Entfremdung der Väter von ihren Familien, zur Folge hatte. An ihren Arbeitsorten waren diese „Wanderarbeiter“ zum Teil in primitiven Baracken ohne sanitäre Anlagen oder gar vorübergehend in Zelten untergebracht. Der Volksmund nannte sie meist „Nirrelänner“ oder „Nidderländer“, weil sie in einem gegenüber ihrer Heimat niedrigeren Landstrich tätig waren. Die Ehefrauen der „Wanderarbeiter“ schufen mit Hilfe der heimischen Landwirtschaft die Grundlage zum Überwintern der Familie.
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Gerade in den Zeiten der Inflation und der Arbeitslosigkeit war in Eisenbach ein reges Vereinsleben zu verzeichnen. Zahlreiche Vereine wurden gegründet und erfreuten sich eines relativ hohen Mitgliederzuwachses. Um die Mitte der zwanziger Jahre wurde auch der Sportplatz auf dem Berg gebaut.
In dieser Zeit kam auch das erste Radiogerät nach Eisenbach; die monatliche Gebühr dafür betrug 1924 zwei Rentenmark.
Die Einwohnerzahl unseres Dorfes stieg bis 1925 auf rund 1.350 und fiel infolge der Weltwirtschaftskrise (nach 1929) vor allem durch Abwanderung auf etwa 1.250 Personen im Jahre 1930.
Der alte „Münsterer Weg“ wurde im Jahre 1928 von Eisenbach bis zur Hessenstraße (Landesstraße) als Straße zweiter Ordnung (Kreisstraße) ausgebaut, wie noch heute ein Stein oberhalb des „Marienhofes“ bezeugt.
Ende der zwanziger Jahre erwarb die Kirchengemeinde ein Haus, das zum größten Teil in Eigenhilfe zum „Schwesternhaus“ (Kindergarten) um und ausgebaut wurde. Vier tüchtige Dernbacher Schwestern übernahmen die Kinder-, Kranken- und Altenbetreuung und boten Nähkurse an. Durch ihre aufopfernde Tätigkeit genossen sie großes Ansehen bei der Eisenbacher Bevölkerung. Die Kosten für den Kindergarten beliefen sich pro Kind auf 50 Reichspfennig im Monat.
Wichtige Bekanntmachungen verkündete täglich der Polizeidiener mit der „Schelle“. Der Flurschütze war unter anderem für die Verhinderung von Diebstählen und die Regulierung der Wasserläufe in den Feldwegen mit Hilfe seiner Hacke zuständig. Nachts blies der Nachwächter jeweils um 23, 24, 1 und 2 Uhr ein Zeitsignal mit dem Horn.
In Eisenbach existierten auch mehrere Mühlen, von denen die „Untermühle“ am längsten arbeitete.
Am 1. Juni 1932 waren im Raum Limburg 91,1 Prozent der Bauarbeiter erwerbslos. Über allgemeine Härten in der Arbeitslosen- und Krisenunterstützung berichteten Betroffene in einer Bauarbeiterversammlung in der Gemeinde Eisenbach. Der Wohlfahrtsrichtsatz für ein arbeitsloses Ehepaar betrug im Landkreis Limburg 40,- Reichsmark im Monat. Ein arbeitsloser Familienvater erklärte in der Versammlung, dass von diesem Betrag das Einkommen seiner einzigen Tochter, die sich in Wiesbaden in hauswirtschaftlicher Stellung befinde, in Höhe von 20,- Reichsmark voll abgezogen würde, obwohl sie sich davon ja kleiden müsse. Gegen derartige ungerechte Entscheide in der Krisenunterstützung existierte seit dem 1. September 1932 kein Einspruchsrecht mehr.
Der amtlich festgesetzte „Ortslohn“, eine Bezugsgröße für alle Versicherungs- und Unterstützungsfragen, betrug 1932 3,90 Reichsmark pro Tag für einen volljährigen Mann und 2,70 Reichsmark für eine Frau. Die wenigen Bauarbeiter, die noch Arbeit besaßen, mussten mit durchschnittlich 100,- Reichsmark im Monat zufrieden sein. Einem großen Teil der Arbeitslosen ist die Unterstützung abgelehnt worden, weil die Behörden der Ansicht waren, dass sie von ihrem kleinen Landbesitz (im Durchschnitt ein bis zwei Morgen) leben könnten, der selbstverständlich auch die einfachsten Lebensbedürfnisse nicht zu befriedigen vermochte. (Die Mieten betrugen 1932 beispielsweise drei bis vier Reichsmark in der Woche.)
Der Goldene Grund wurde 1932 zum Notstandsgebiet erklärt. In diesem Jahr, in dem wichtige Weichen zu Adolf Hitlers sogenannter „Machtergreifung“ gestellt wurden, fanden fünf Wahlen statt:
13.3.1932: Reichspräsidentenwahl
10.4.1932: Reichspräsidentenwahl
24.4.1932: Landtagswahl
31.7.1932: Reichstagswahl
6.11.1932: Reichstagswahl
Die Zentrumspartei, der politisch stabilste Faktor im Landkreis Limburg, hatte 1932 ihre höchsten Stimmenanteile in überwiegend katholischen Gemeinden wie Eisenbach. Dem sehr hohen Anteil der erwerbslosen Bauhandwerker in Eisenbach entsprach der relative Schwerpunkt der KPD-Stimmen, die sich von 10,5 Prozent im September 1930 auf 22,3 Prozent im November 1932 mehr als verdoppelt hatten. Eisenbach gehörte im November 1932 zu den Gemeinden, in denen der sogenannte „Rechtsblock“, bestehend aus NSDAP, Landvolkpartei, Deutsch-Nationaler Volkspartei (DNVP), Mittelstandspartei und Deutscher Volkspartei (DVP), die niedrigsten Stimmenanteile, nämlich nur insgesamt 11,1 Prozent, erhielt. Der „republikanische Block“ (Zentrum, SPD und KPD) erzielte im November 1932 demgegenüber die überwältigende Mehrheit von 88,9 Prozent der Stimmen.
Wahlergebnisse des „Rechtsblocks“ in Eisenbach zwischen 1930 und 1932 (in Prozent)
Wahltag | NSDAP | Landvolkpartei | DNVP | Mittelstandspartei | DVP | Summe |
14.09.1930 | 9,8 | 9,5 | 0,3 | 0,7 | 0,4 | 20,7 |
13.03.1932 | 14,5 | 0,8 | 15,3 | |||
10.04.1932 | 12,2 | 12,2 | ||||
24.04.1932 | 9,7 | 8,6 | 0,1 | 0,3 | 0,4 | 19,1 |
31.07.1932 | 6,5 | 3,6 | 0,5 | 10,6 | ||
06.11.1932 | 6,4 | 3,8 | 0,7 | 0,2 | 11,1 |
Obwohl die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) bei den Reichstagswahlen am 31. Juli 1932 mit 37,4 Prozent der Wählerstimmen zur stärksten deutschen Partei angewachsen war, konnte sie in Eisenbach nur relativ klägliche Ergebnisse erlangen.
Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg (1933 – 1945)
Die sogenannte „Machtergreifung“ Adolf Hitlers (1889 – 1945) am 30. Januar 1933 brachte auch für Eisenbach eine radikale Änderung des politischen und privaten Lebens: Sämtliche politische Parteien, mit Ausnahme der NSDAP, wurden verboten, freie Wahlen wurden unmöglich gemacht, wichtige Grundrechte wurden außer Kraft gesetzt, alle Verbände und Organisationen wurden im Sinne des Nationalsozialismus ausgerichtet, das „Volksleben“ wurde bis in den letzten Haushalt kontrolliert, Kinder und Jugendliche wurden in der Hitler-Jugend (HJ) und ihren Unterorganisationen erfasst und den Eisenbacher Juden stand ein schweres Schicksal bevor.
Um die Gunst der Bevölkerung für sich zu gewinnen, nahm die Regierung Hitler ein umfangreiches Arbeitsbeschaffungsprogramm, vor allem in der Rüstungsindustrie und im Straßenbau, in Angriff. So wurde 1934 die Bundesstraße 8, eine alte Landstraße aus dem 12. Jahrhundert, ausgebaut. Nachdem die B8 zwischen Nieder- und Oberselters begradigt worden war und nunmehr zu der alten „Eisengasse“ geführt wurde, eröffnete sich auch für die Eisenbacher ein bequemerer Weg nach Camberg, statt wie bisher über die sogenannte „Retter“.
Nach dem deutschen Angriff auf Polen am 1. September 1939 begann für die Eisenbacher Gemeinde eines der traurigsten Kapital ihrer bisherigen Geschichte: 97 Gefallene, 38 Vermisste, 7 umgekommene Juden, 148 zerstörte oder beschädigte Gebäude, Hunger und Elend waren die Bilanz des Zweiten Weltkrieges für Eisenbach.
Eisenbach wurde am 29. März 1945 (Gründonnerstag) von einer amerikanischen Artillerie- und Granatwerfereinheit beschossen, weil eine sich verschanzende Restgruppe der SS-Division „Götz von Berlichingen“ die amerikanischen Infanterie-Soldaten angriff. Durch diese letzten Kriegshandlungen kamen Wilhelm Becker, Benno Falkenbach, Moritz Meurer, Agathe Schmitt und Hermann Weith ums Leben.
Die US-Truppen marschierten am Karsamstag, dem 31. März 1945, gegen 9.00 Uhr in Eisenbach ein. Damit war für Eisenbach der Zweite Weltkrieg beendet.
Der Text erschien im „Heimatbuch – 750 Jahre Eisenbach“
Die Internetseite „Eisenbach – einst und jetzt“ ist eine große Bereicherung für die umfassende Sammlung und Aufarbeitung der Geschichte unserer Heimat. Man erkennt die intensive und akribische Arbeit, die dahinter steckt, und wünscht sich mehr davon.