Der Eisenbacher Vatermord (I)

Die Gerichtsverhandlung

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Von Christian Heinz und Frank Noll

Im Jahr 1914 ereignete sich der tragische Vorfall, bei dem der junge Mann Peter Seck seinen Vater tötete. An jenem Tag drang der betrunkene Vater in das Zimmer seiner Frau ein und begann, seine kranke Frau zu misshandeln. Peter Seck, der Sohn, versuchte, seine Mutter zu schützen, und es entwickelte sich ein tumultartiger Streit. Schüsse fielen, und der Vater wurde schwer verletzt.

Der genaue Ablauf der Ereignisse blieb unklar, aber es wurde berichtet, dass der Vater um Gnade flehte und sagte: „Peter, lass mich leben, ich bin doch dein Vater!“ Dennoch setzte der Sohn die Auseinandersetzung fort und ließ seinen schwer verletzten Vater schließlich draußen im Hof liegen.

Die Familie hatte unter den brutalen Übergriffen des Vaters gelitten, und es gab wiederholte Berichte über Gewalt und Bedrohungen. Letztendlich führten diese schrecklichen Familienverhältnisse zu dem tragischen Vorfall, bei dem der Vater sein Leben verlor und Peter Seck vor Gericht gestellt wurde.

Die Gerichtsverhandlung zum Eisenbacher Vatermord im Sommer 1914 ist gut dokumentiert. Sie ist ausführlich am 2.7.1914 in der Rheinischen Volkszeitung geschildert worden. Hier ist der vollständig transkribierte Text daraus. Vorsorglich möchten wir darauf hinweisen und warnen, dass gegen Ende des Textes der Zustand der Leiche recht deutlich von den Gerichtsmedizinern beschrieben wird.


Landgerichtsdirektor Neizert: Angeklagter, warum haben Sie auf Ihren Vater geschossen?

Angeklagter Peter Seck: Ich habe Angst vor dem Vater gehabt, der ein Messer in der Hand hielt und auf mich einsprang.

Präsident: Haben Sie die Blutspuren von der Haustüre und dem Zimmerboden weggewischt?

Angeklagter: Das weiß ich nicht, es kann möglich sein.

Präsident: Haben Sie Ihren Vater geliebt?

Angeklagter: Ja!


Als erste Zeugin wird die Mutter des Angeklagten, die Ehefrau des verstorbenen Peter Seck sen., aufgerufen. Es ist eine kleine, schwächliche Frau von 49 Jahren, der man ansieht, dass in ihrem Ehestand ihr wenig Rosen gestreut wurden. Kummer und Sorgen haben die Frau vorzeitig niedergebeugt. Sie gibt an, Zeugnis ablegen zu wollen. Sie erzählt u. a. folgendes von den Vorgängen am 5. Januar:

Ich lag seit Wochen krank im Bett. Da kommt am Abend mein Mann betrunken in das Zimmer, stellt sich vor das Bett und fängt an zu schimpfen; packt mich am rechten Bein, versucht mich aus dem Bett zu zerren und droht mir mit Totmachen. Da trat mein Sohn, Peter, hinzu und mahnte den Vater zur Ruhe. Es kommt zum Spektakel, und beide verlassen das Zimmer. Ich zog die Decke über den Kopf und sah und hörte nichts weiter; da fiel ein Schuss. Als ich mich langsam anschickte, hinauszusehen, um zu erspähen was passiert sei, sah ich den Vater mitten im Zimmer auf dem Boden liegen. Er sprang auf, drohte aufs Neue und verließ wiederum das Zimmer. Was weiter geschah, weiß ich nicht.

Präsident: Warum ließ man den Vater in der Nacht draußen im Hof liegen?

Zeugin: Weil wir alle Angst vor dem Vater hatten und wir ihn nicht im Zimmer haben wollten.

Verteidiger Weber: Ihr Mann hat Sie des Öfteren misshandelt, sie und die Kinder mit Totstechen bedroht und einmal das Kind Helene an der Kehle gefasst, um es zu erwürgen, auch einmal auf die Kinder geschossen?

Zeugin: Ja!

Verteidiger: Sind Sie nicht des Öfteren mit ihren Kindern aus dem Hause auf das freie Feld geflüchtet, um dadurch den Gewalttaten des Vaters zu entgehen?

Zeugin: Ja!

Verteidiger: Ihr Mann hat auch einmal das Kruzifix von der Wand gerissen und es Ihnen nachgeworfen?

Zeugin: Ja!

Verteidiger: Ihr Mann soll anderen Frauen nachgegangen sein und viel Geld mit ihnen verbraucht haben? Er soll auch gesagt haben: wenn ich dich nur los wäre, dann heiratete ich eine andere; du hast keine Nummer mehr bei mir?

Zeugin: Ja!

Staatsanwalt Dr. Eich: Sie haben wohl wenig freudige Stunden in ihrer Ehe zu verzeichnen gehabt?

Zeugin: Gar keine.


Zeugin Helene Seck, Schwester des Angeklagten, 14 Jahre alt. Die Zeugin weiß nicht viel auszusagen. Dass der Bruder den Vater geschlagen, geschossen und in den Hof geschleift hat, davon weiß sie heute nichts mehr.

Präsident: Als du durch den Hof gingst mit deinem Bruder, hat da der Vater gestöhnt?

Zeugin: Ich weiß nicht.

Präsident: Hast du Blut gesehen?

Zeugin: Ich weiß nicht; es war dunkel.

Präsident: Wie kommt es, dass du heute nichts auszusagen weißt? Du wusstest doch vor dem Untersuchungsrichter manches zu erzählen? Hat man dir gesagt, was du aussagen sollst und was nicht?

Zeugin: Nein.

Präsident: Hat die Mutter gesagt: du sollst nichts aussagen?

Zeugin: Nein.


Zeugin Maria Seck, zweite Schwester des Angeklagten, 8 Jahre alt, verweigert die Aussage. Der nächste Zeuge ist der Untersuchungsrichter, der die Untersuchung und Vernehmungen geführt hat. Er gibt ein Bild über die Art der Vernehmungen der einzelnen Personen, und insbesondere über die Helene Seck. Letztere wollte eigentlich nicht so recht mit der Sprache heraus, bis sie dann erklärte, sie wolle aussagen, wenn nicht so viele Leute da wären. Man ging damals in ein Nebenzimmer, und hier erklärte sie: dass der Bruder dem Vater auf den Kopf geschlagen und der Vater dann gefleht habe: „Peter, hör‘ doch auf, ich bin doch dein Vater!“ Der Bruder habe den Vater aus den Hof geschleift.

Zeugin Anna Bücher, 35 Jahre: Ich ging am 5. Januar abends am Seck’schen Hause vorüber ; ich hörte von weitem schon Kindergeschrei. Dann habe ich zwei Schüsse fallen hören und selbst das Feuer der Waffe gesehen.

Zeuge Polizeidiener Kühn: Es war am 5. Januar, abends 11 Uhr, da begegnete mir der Angeklagte mit der Schwester Helene auf der Straße. Der Angeklagte blieb stehen und grüßte mich mit „Guten Abend“. Er fragte mich sodann: „Hast du den Mann nicht gesehen? Er ist wieder betrunken und nicht zu Hause!“ Auf meinem Rundgang in den Wirtschaften hielt ich nach dem Peter Seck sen. Ausschau, habe ihn aber nicht gefunden ; ich hätte ihn sonst nach seiner Wohnung gebracht, wie dies öfters von mir geschehen ist. Der alte Seck war ein ordentlicher, fleißiger Mann, aber wenn er getrunken hatte, höchst unleidlich. Er gehörte der Gemeindevertretung an.

Verteidiger: Hat der alte Seck mit anderen Frauen angebandelt?

Zeuge: Ich weiß nicht. Frau Seck hat mir solche Andeutungen gemacht, als ob ihr Mann derartige Dinge mache, und daraufhin mich gebeten, auszuschauen, wo ihr Mann am Abend sei. Ich konnte feststellen, dass er an manchen Abenden wohl nicht zu Hause, aber auch nicht in den Wirtschaften aufzufinden war. Wo er sich im Dorfe befand, weiß ich nicht. Der alte Seck hat mir einmal geklagt: Er könne es zu Hause nicht mehr aushalten.

Die Recherche

Vor einigen Jahren stieß unser Autor auf einen Zeitungsausschnitt aus Österreich vom 8. Januar 1914, der von einem Vatermord in Eisenbach im Taunus berichtete. Dieser Fund führte zu weiteren Recherchen, doch die Suche nach Informationen gestaltete sich schwierig. Nach Jahren der Unterbrechung und erneutem Interesse begann der Autor erneut nach Informationen zu suchen. Eine Anfrage beim Staatsarchiv in Wiesbaden ergab keine Ergebnisse, aber die Suche nach dem „Nassauer Boten“, einer historischen Zeitung, brachte schließlich Erfolg. In den Archiven des „Nassauer Boten“ von 1914 bis 1920 fand der Autor Artikel über den Vatermord in Eisenbach, die neue Einblicke in den Fall eröffneten.

Artikel lesen…

Zeuge Hch. Berninger: Ich hörte am Abend des 5. Januar abends Spektakel im Seck’schen Hause und Schüsse fallen. Am Morgen des 6. Januar kam Peter Seck auf dem Gange nach der Kirche zu mir und sagte: Mein Vater war wieder einmal betrunken, er liegt auf dem Hofe. Nach der Kirche ging ich mit dem Angeklagten nach dem Seck’schen Hause. Da lag wirklich der alte Seck im Hofe. Ich trat hinzu, fasste den daliegenden Mann an und bemerkte, dass er tot sei. Ich verständigte die Polizei von dem Vorfalle. Die Seck’schen Familienverhältnisse waren recht eigenartig; die lassen sich nicht schildern. Frau S. kam einmal mit blutigem Kopf zu mir und beklagte sich über ihren Mann. Peter kam einmal und sagte: Mein Vater ist nicht mehr „recht“: ich glaube, es gibt noch einmal etwas. Und der alte Seck, der öfters eins trank, schimpfte auf seine Frau und sagte einmal: Wenn ich „die“ geheiratet hätte, war ich ein ganz anderer Kerl! In der Familie herrschten bitterböse Zustände.

Staatsanwalt: Wer trug die Schuld an diesen Verhältnissen?

Zeuge: Das weiß ich nicht.

Verteidiger: Sie haben die Schüsse gehört und das Geschrei der Kinder bemerkt, warum sind Sie als Nachbar nicht einmal in das Seck’che Haus gegangen, um nachzuschauen was passiert sei?

Zeuge: Ich wollte nicht hingehen ; ich hatte angenommen, dass der alte Seck seine Frau erschossen habe ; ich wollte kein Zeuge bei der Affäre sein.

Präsident: Hat Seck sen. mit anderen Frauen verkehrt?

Zeuge: Ich glaube Ja! Man behauptet es. Der alte Seck hatte einmal seinen alten Vater misshandelt und auf die Kinder geschossen. Er ging einmal mit der Heugabel ernstlich ans einen Metzgermeister los. Als seine Frau krank war, sollte kein Arzt kommen. Er sagte vielmehr: Das Aas soll verrecken!

Zeuge Jakob Seck: Ich habe den Revolver im Heu versteckt aufgefunden; 2 Läufe waren noch geladen, in 3 steckten leere Hülsen. Ich weiß, dass Frau Seck wiederholt mit ihren Kindern auf das Feld flüchten musste, um den Gewalttätigkeiten des Mannes zu entgehen.

Zeuge Kirchenrechner Jost: Die Frau Seck hat sich wiederholt bei mir über schlechte Behandlung seitens ihres Mannes beklagt. Wiederholt hatte die Frau das Hauswesen dieserhalb verlassen und wollte nicht mehr zu ihrem Manne. Zweimal ist es mir geglückt, die Frau wieder zurückzuführen. Der Mann war ordentlich, wenn er nüchtern war.

Zeuge Bürgermeister Gattinger, 46 Jahre alt, weiß gegen den alten Seck nicht viel auszusagen. Er will gehört haben, dass er öfters Streit angefangen und gehabt hat. Die Vermögensverhältnisse sind gut ; es sind 3 Pferde, 6 Stück Rindvieh und etwa 10-12 Schweine vorhanden.

Zeuge Schnierer, 22 Jahre. Der Angeklagte war ein guter Kamerad: nicht gewalttätig. Er hatte einen Revolver, mit dem wir öfter im Walde geschossen haben.

Zeuge Michel, 47 Jahre. Die Schuld an den traurigen Familienverhältnissen trägt die Frau.  Der alte Seck hat sich öfters bei mir beklagt.

Wachtmeister Karbach: Der alte Seck war zeitweise recht streitsüchtig: er hat gern eins getrunken. Wenn er nach Camberg, Idstein, Niederselters kam, so hatte er am Abend immer „einen sitzen“.

Zeuge Dr. Kauffmann – Niederselters: In der hier kritischen Zeit lag Frau Seck krank darnieder; sie hatte am Bein recht schwere Brandwunden erlitten, die eine ärztliche Behandlung notwendig machten, wenn nicht eine gefährliche Blutvergiftung eintreten sollte. Der alte Seck wollte aber keinen Arzt zulassen: mir selbst machte er über mein Erscheinen furchtbare Vorhaltungen, die mich aber nicht erschreckten, wohl aber den Seck von einer Seite kennen lernen ließen, die mich stutzig machte. Sein Benehmen war kein menschenwürdiges. Die ärztliche Behandlung der Frau konnte ich nur zeitweise fortsetzen, unter dem Schutze des Sohnes.

Weitere Zeuginnen sind Frau Ott, Frau Jost und Anna Seck, die aber nichts bemerkenswertes zur Schießaffäre auszusagen wissen.


Nachmittags – Sitzung

Die um ½ 4 Uhr wieder aufgenommene Sitzung bringt die Gutachten der Sachverständigen. Kreisarzt Geh. Medizinalrat Rud. v. Tesmar – Limburg und Sanitätsrat Dr. Tiefenbach Camberg haben die Obduktion der Leiche vorgenommen. Sie erörtern den Leichenbefund und die vorgefundenen Verletzungen. Am Munde zeigten sich Pulvereinspritzungen; in der Schleimhaut fand man ein Schrotkorn, übrigens das einzige. Das Jochbein war vollständig zertrümmert; an den Weichteilen der Ohrmuschel fanden sich 2-3 Zentimeter lange Öffnungen; der Schädel war gespalten, er klaffte um 3 Millimeter. Die Verletzungen rührten von Schüssen und Schlägen her. Die Zertrümmerung des Jochbeines war eine tödliche, brauchte aber nicht eine sofortige Betäubung oder Besinnungslosigkeit herbeigeführt zu haben, Seck konnte wohl noch einige Schritte gegangen sein und gesagt haben: Peter, lass mich los, ich bin dein Vater! Die Schädelverletzung rührte von Schlägen, vermutlich mit dem Revolver, her und nicht von einem Sturz.

Kreisarzt Dr. Pils – Wiesbaden gibt sein Gutachten ab aufgrund des Protokolls der Obduktion der Leiche. Er führte u. a. aus: Die Hauptverletzung ist ein Knochenbruch im Schädelgrunde; ein regelrechter Schädelbruch, der nicht von Schlägen, sondern nur durch einen Sturz kann hervorgerufen worden sein. Die abgegebenen Schüsse waren nur unbedeutender Art; durch die schwache Pulverladung vermochten die Schrotkörner keine Verletzung hervorzurufen.

Professor Dr. Höber – Marburg: Mein Gutachten stützt sich auf die mir vorgelegten Akten. Der Tod ist zu erklären durch eine schwere Schädelverletzung, hervorgerufen durch einen Sturz. Seck war betrunken und hat die erlittene Verletzung nicht in vollem Maße sofort gespürt.

Gerichtschemiker Dr. Popp – Frankfurt hat den Revolver untersucht und an diesem 3 Blutspuren gefunden, sonst nichts. Dies schien ihm recht sonderbar, da sich an der Waffe auch keine Spuren von Reinigungsversuchen nachweisen ließen. Er ist der Ansicht, dass mit dem Revolver auf den Seck nicht eingeschlagen worden ist. Um 6 Uhr schließt die Beweisaufnahme. Den Geschworenen werden 7 Fragen zur Beantwortung vorgelegt.

Es beginnen die Plädoyers

Staatsanwalt Dr. Eich: Ich halte den Angeklagten für einen ordentlichen Menschen; das gleiche nehme ich aber auch für den alten Seck in Anspruch. Wie wird aber hier der Vater geschildert? Er soll in der Familie ein Scheusal gewesen fern; nicht aber in der Gemeinde. Wie kommt es, dass der Vater so roh sich benahm, da muss doch etwas in der Familie gewesen sein. Man hat kein Herz für den Mann gehabt, schon seit Abschluss der Heirat. Hier scheint die Schwiegermutter wirklich einmal eine böse Rolle gespielt zu haben. Nach der Hochzeit wohnt die junge Frau lange Zeit bei der Mutter und Schwester: Seck hat es auf einmal mit 3 Frauen zu tun, die ihm arg mitspielen. Man hat ihn nicht als den Herrn im Hause anerkannt, den Mann, der getreulich für seine Landwirtschaft besorgt war. Es war eine unglückliche Ehe, man hatte den Mann nicht verstanden. Es entsteht der Streit im Hause. Bei dem aufwachsenden Sohne sammelt sich immer mehr Hass an, und es kommt am 5. Januar zur Katastrophe — bei welcher der Vater den Tod findet, der Sohn aber unverletzt bleibt. Was trug sich an dem unglücklichen Abend zu? Der Vater schlägt die Mutter, der Sohn schlägt den Vater, der um Gnade fleht, indem er ruft: Peter, lass mich leben, ich bin doch dein Vater! Er hält die Knie seines Sohnes umklammert und bittet um Gnade. Doch der Sohn lässt nicht nach, er schlägt weiter zu. Nun kommt aber das Schlimmste: er lässt den schwerverletzten Vater draußen im Hofe in der kalten Winternacht liegen. Er geht in das Haus, isst zu Abend und nach 2 Stunden führte er die Schwester am Vater vorbei zur Tante. Die Schwester will nicht, sie fürchtet sich. Beide hören den Vater röcheln. Beide gehen in das Dorf. Der Sohn beauftragt den Polizeidiener, den Vater zu suchen, der sich betrunken im Wirtshause aufhalten soll. Der Polizeidiener forscht, findet aber nichts. Der Sohn geht zurück und wieder am Vater vorbei, der noch immer röchelt. Wir stehen vor einem Rätsel von Gefühlsrohheit: der Sohn gegen den Vater. Der Sohn geht schlafen. Wir nehmen an, dass er nicht gut geschlafen hat. Es wird Morgen ; es ist Feiertag. Der Sohn zieht sich an und geht zur Kirche. Der Vater liegt noch immer im Hof. Er kommt zum Onkel. Dieser kommt in den Hof und findet den toten Seck im Hofe liegen. Es genügte dem Sohn nicht, den Vater zu schlagen, zu verletzen, nein, er wollte seine völlige Vernichtung, seinen Tod. Die Aussagen der Herren Sachverständigen widersprechen sich leider; sie sind sich nicht einig über die Art der Entstehung der tödlichen Verletzungen am Kopfe; ist die Schädelfraktur entstanden durch Schlagen mit dem Revolver oder durch einen Sturz. Egal, in beiden Fällen ist die Ursache zurückzuführen auf eine Gefühlsrohheit des Sohnes. Hier liegt keine Fahrlässigkeit vor, sondern versuchter Totschlag, der Sühne erheischt. Wenn ein Sohn mit seinem Vater so verfährt, wie es hier geschehen ist, dürfen Milderungsgründe nicht in Betracht kommen. Mitleid gehört nicht in den Gerichtssaal, sondern das Recht. Erkennen Sie, was Recht ist.

Verteidiger Rechtsanwalt Weber: Der angeklagte Peter Seck ist uns hier als ein ruhiger, arbeitsamer und friedfertiger Mensch geschildert worden. Wir konstatieren einen Widerspruch mit seiner Tat. Wessen man ihn beschuldigt, ist nur Vermutung, keine Beweise sind für seine Schuld an dem Tode des Vaters erbracht worden. Wer war der alte Seck? Ein brutaler Mensch, der dort seinen Tod gefunden hat, wo er vor Jahren seinen Vater schrecklich misshandelt und hingeschleudert hatte. Der alte Seck war brutal gegen seinen Vater, er war es auch gegen seine Frau und Kinder, die vor ihm flüchten mussten. Der alte Seck hat die Helene als Kind gewürgt, und das Kleinste trug schon bei seiner Geburt die Merkmale der Misshandlungen des Vaters. Was sind seine Gaben am hl. Abend für seine Frau und die Kinder? Schimpfereien und Streit; er schmäht und droht der kranken Frau und Mutter. Sie soll verrecken! Das ist der ordentliche Mann (der auf dem Gemeindesessel sitzt). Am 5. Januar sitzt die Familie ruhig beisammen. Die Mutter liegt krank im Bett; der Sohn liest, die älteste Tochter häkelt und das kleine Kind ist über seine Schiefertafel gebeugt und lernt. Der Friede war da. Da kommt der wieder betrunkene Vater nach Hause. Wir hörten es, er war häufig betrunken, wöchentlich, manchmal trank er die ganze Woche. Er kommt und will die kranke Frau und Mutter schlagen. Der Vater provoziert den Streit. Da erwacht bei Peter Seck jun. das Pflichtgefühl des Sohnes, er sucht die Mutter zu schützen. Da kommt der brutale Vater auf den Sohn zu, mit dem Messer in der Hand. Die zwei Mädchen flüchten. Es fallen die Schüsse. Der Vater verlangt nach Wasser; der Sohn, den er eben angepackt, reicht es dem Vater. Eine Absicht der Tötung lag bei der Schießerei nicht vor; die Schüsse waren unbedenklicher Art, es tollten Schreckschüsse sein. Der Sohn wollte sich und die Mutter retten und bewahren vor der brutalen Gewalt des Vaters. „Ich hole den Dolch, damit sie alle sterben!“ Das ist die Sprache des betrunkenen Vaters. Der Vater packt den Sohn am Halse; beide ringen miteinander. Der Vater stürzt die Treppe hinab und erleidet hierdurch die Verletzungen, die den Tod verursachten;. Das ist der Hergang der Tat, über den die Herren Geschworenen jetzt befinden sollen. Es ist dunkel geblieben, ob der Sohn den Vater mit dem Revolver geschlagen hat. Der Angeklagte ist das Opfer seines Milieus geworden. Behandeln Sie ihn milde, wenn Sie nicht zu einer Verneinung der Schuldfragen kommen sollten.

Verteidiger Rechtsanwalt Bladert beleuchtet den Fall von der juristischen Seite aus. Wir wollen gerecht sein, so führte er aus. Wir appellieren nicht an das Mitleid. Nur die Tat selbst ist in Betracht zu ziehen, nicht das Verhalten des Angeklagten nach der Tat. Die Aussagen decken sich mit dem ärztlichen Befund. Nicht jeder ist schuldig, wenn auch durch die Tat der Tod eines Menschen herbeigeführt wird. Es ist der letzte Akt einer Familientragödie. Der Sohn hat die Mutter vom Tode gerettet aus den Händen des brutalen Ehegatten, geben Sie jetzt der Mutter den Sohn zurück. Verneinen Sie die Schuldfrage.


Das Urteil

Nach Erteilung der notwendigen Rechtsbelehrungen durch den Präsidenten ziehen sich die Geschworenen zurück. Nach einer halbstündigen Beratung verkündet der Obmann den Wahrspruch der Geschworenen. Er lautet: Schuldig der vorsätzlichen Körperverletzung mit tödlichem Ausgang ; mildernde Umstände sind zuzubilligen. Der Staatsanwalt beantragt daraufhin eine Gefängnisstrafe Von 3 Jahren. Kurz nach 9 Uhr wird das Urteil verkündet. Es lautet: 3 Jahre Gefängnis und Tragung der Kosten des Verfahrens; 5 Monate der erlittenen Untersuchungshaft werden angerechnet.

Recherche: Christian Heinz
Bilder* und Transkription: Frank Noll

* KI-generiert

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