Schwester Blithmundas Leben und Wirken in Eisenbach

Von Julia Hartmann

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Mit „Schwester Blithmunda“ verbinden viele Eisenbacher die Straße im Neubaugebiet der 1990er Jahre, doch wer sie wirklich war und welche Verbindung sie nach Eisenbach hatte, das werden wohl nur die wenigsten wissen. Die Erklärung unter dem Straßenschild gibt kurz Aufschluss: Anna Meinerz, geboren am 25. Mai 1900 in Uhler (Rhein-Hunsrück-Kreis), war vom 28. April 1928 bis 12. Mai 1947 als Krankenschwester in Eisenbach tätig. Sie verbrachte über 10.000 Stunden in der Krankenpflege und Nachtwache bei Kranken und Sterbenden und wird deshalb als „Wohltäterin für Eisenbach“ angesehen.

Es ist überliefert, dass Schwester Blithmunda die Patienten zu Hause versorgte und nicht nur tagsüber, sondern auch nachts jedem Hilferuf folgte. Sie soll Krankheiten schnell erkannt und medizinisch richtige Diagnosen gestellt haben. Die Eisenbacher sollen ihr grenzenloses Vertrauen entgegengebracht und sie geachtet und verehrt haben. Doch erst einmal der Reihe nach…

Anna Meinerz wächst Anfang des 20. Jahrhunderts in einem katholischen Elternhaus auf. Der Vater Peter ist Landwirt, die Mutter heißt Anna Maria, geb. Liesenfeld. Zwei Tage nach ihrer Geburt wird Anna Meinerz bereits in Castellaun (heutige Schreibweise: Kastellaun) getauft, am 21. Juni 1912 wird sie gefirmt. Zwischen 1906 und 1914 besucht sie die Kommunalschule in Kastellaun. Es sind die goldenen Jahre des Kaiserreichs, geprägt von wirtschaftlicher Stabilität. 1914 bahnt sich allerdings die Katastrophe an: In diesem Jahr beginnt der Erste Weltkrieg. Die heile Welt bricht zusammen, verändert sich; auch die für Frauen in dieser Zeit sowieso schon begrenzten Möglichkeiten verändern sich. Das betrifft natürlich auch Anna.

Das Elternhaus von Anna Meinerz in Uhler (Hunsrück)

Sie ist 14 Jahre alt, als der Erste Weltkrieg beginnt. Nur wenige Berufe stehen Mädchen und Frauen damals offen, im ländlichen Raum ohnehin noch weniger. Ähnlich wie viele andere Mädchen in ihrem Alter ist sie drei Jahre lang in Stellung, davon zwei Jahre lang bei einem Arzt, ein weiteres Jahr bei dessen Schwiegermutter. Sie ist 18 Jahre alt, als sie die Stellung verlässt. Hilft sie danach im elterlichen Haushalt und in der Landwirtschaft? Überliefert ist nur Folgendes: Sie besucht die Nähschule im Winter. An einem gewissen Punkt sind es die Dernbacher Schwestern der Filiale Kastellaun, die für ihren Berufs- und Lebenswunsch zum Vorbild werden. Das macht Anna in ihrem Lebenslauf, den sie am 6. November 1921 verfasst, deutlich: „Durch näheren Umgang mit den Schwestern in Castellaun zieht es mich so sehr zu den armen Dienstmägden Jesu Christi…

Vermutlich sind es die Kriegsjahre, die Schreckensbilder, die der Krieg mit sich bringt, die dazu führen, dass sie sich für ein Klosterleben entscheidet. Die Bevölkerung hungert, 1916/1917 gehen die Menschen durch den sogenannten Steckrübenwinter (Die Kartoffelernte liegt nur bei 50 Prozent des üblichen durchschnittlichen Ertrags. Als Ersatz für das Grundnahrungsmittel werden rationierte Kohl- bzw. Steckrüben ausgegeben.). Die Zeitungen in der Heimat sind voll mit Todes- und Vermisstenanzeigen. Im Ersten Weltkrieg sterben mehr als neun Millionen Soldaten, darunter über zwei Millionen aus Deutschland. Die Inflation verstärkt den Schwarzmarkt, alles wird deutlich teurer.

Den Wunsch, ins Kloster zu gehen, übermittelt Anna auch ihren Eltern. Schon früh trägt sie sich mit dem Gedanken des Eintritts, während des Ersten Weltkriegs reift wohl ihre Entscheidung. Doch ihre Eltern sind unschlüssig. Anna antwortet der Dernbacher Generaloberin in einem Brief am 9. Januar 1921 daher: „Sie müssen bitte entschuldigen, daß ich erst jetzt, Ihren lieben Brief beantworte, denn die Eltern haben sich immer [noch] nicht ausgesprochen.“ Schließlich entscheiden die Eltern, dass „sie mir in einem Jahre die Einwilligung dazu geben wollen“.

Doch auch ein Jahr später findet sie noch nicht den Weg ins Kloster. Sie schreibt am 8. März 1923 erneut aus Uhler an die Generaloberin: „Wie es Ihnen ja schon länger bekannt ist, wollte ich im Januar eintreten. Der liebe Heiland hat es aber leider noch nicht gewollt. Die lieben Eltern konnten sich gar nicht herein schicken das ich sollte fortgehen.“ Anna wird krank. Die Oberin in Kastellaun rät ihr deshalb, den Eintritt zu verschieben. Doch ihre Eltern sagen ihr den Eintritt bei einer Genesung zu: „Liebe Ehrwürdige Mutter hätte es Ihnen, schon eher mitgeteilt, konnte mich aber gar nicht mehr darein fügen, das ich noch warten sollte, muß mich aber doch endlich hierein schicken.

Es dauert noch bis in den Winter 1923. Am 20. Dezember – längst volljährig – durchläuft sie in Dernbach die medizinische Untersuchung. Während sie in einem späteren Lebenslauf ihren Eintritt mit dem 2. Juli 1925 angibt, verzeichnet das Professbuch den Eintritt für den 11. März 1926. Am 15. April 1926 ist bereits die Einkleidung. Die unklare Datenlage wird erhellt durch die Tatsache, dass sie ungewöhnlicherweise zwei medizinische Untersuchungen durchläuft. Sie wird beide Male voll akzeptiert. Doch warum zwei Untersuchungen? Gibt es medizinische Schwierigkeiten? Man rät ihr zum Warten. Doch wo ist Anna in der Zwischenzeit? Verlässt sie Dernbach, arbeitet sie bei den Schwestern? Zu weit – und damals auch zu teuer – wäre der Heimweg. Hier verliert sich die Spur.

Anna Meinerz

Ihre Ausbildung in der Krankenpflege beginnt im Sommer 1925. Anna hält in ihrem Lebenslauf vom 5. Januar 1937 fest: „Als Postulantin erlernte ich im Städt. Krankenhaus zu Höchst a. M. von August 1925 – April 1926 die Anfangsgründe der praktischen Krankenpflege. Daran anschließend nahm ich während des Noviziates in Dernbach vom April 1926 – 1927 an dem theoretischen Unterricht über die Krankenpflege teil.“ Der Unterricht findet am Dernbacher Herz-Jesu-Krankenhaus der Schwestern statt, es besitzt zu dieser Zeit eine Krankenpflegeschule. Trotz Unterbrechungen in ihrer Ausbildung weiß sie sich durchzusetzen. Sie wird Krankenschwester.

Niederlassung der Armen Dienstmägde Jesu Christi und Einzug ins „Josefshaus“

Voraus geht Folgendes: Es ist das Jahr 1927. Die Armen Dienstmägde Jesu Christi lassen sich in Eisenbach nieder, im sogenannten Josefshaus. Pfarrer Weis, der Dorfpfarrer von Eisenbach, erkennt, wie wichtig eine Schwesternstation für den Ort ohne Arztniederlassung war. Die Katholische Kirchengemeinde erwirbt daher am 4. Februar 1925 das Gebäude an der Ecke Adolfstraße/Grabenstraße – das sogenannte Bäckersche Haus, in dem sich eine Bäckerei und ein Krämerladen befinden – von den Geschwistern Maria Bäcker (Lehrerin i.R.) und Georg Bäcker, Besitzer des Gebäudes seit 21. September 1911 – für 8.000 Reichsmark. Doch erst am 27. April 1927 ist es nach langen Bemühungen so weit, dass die Schwestern in Begleitung der Generalassistentin, Schwester Hildegard, in das für ihre Ankunft geschmückte „Josefshaus“ einziehen können.

Schwester Blithmunda hält auch ihre Ankunft in Eisenbach fest: „Am 27.4.1927 bin ich nach Eisenbach ins St. Josefshaus versetzt worden, woselbst ich dann bis April 1936 in der ambulanten Krankenpflege meine Dienste den Hilfsbedürftigen widmete.“ Ihr Aufenthalt in Eisenbach wird kurzfristig durch die Ablegung der Profess (Ordensgelübde am 21. Juni 1928) unterbrochen.

Schwester Blithmunda (rechts) mit ihrer leiblichen Schwester Therese

Zu der Zeit ist Schwester Philothea Oberin, Schwester Edberta übernimmt die Leitung des Kindergartens und Schwester Blithmunda arbeitet fortan als Krankenschwester. Ende 1927 kommt noch Schwester Germana als vierte Schwester ins Filialkloster nach Eisenbach. Ab Oktober 1929 spüren die Menschen die Weltwirtschaftskrise deutlich. Es sind die Jahre des Mangels, der großen Arbeitslosigkeit, der Obdachlosigkeit, der Armut. Die Schwestern versorgen viele dieser Menschen mit der täglichen Mahlzeit sowie mit unentgeltlicher Gesundheitsversorgung. Ohne die Versorgung wären diese Menschen verloren.

NS-Zeit und Zweiter Weltkrieg

Die dunkle Zeit der Nationalsozialisten wirft auch ihren Schatten auf das Josefshaus und beschwert die Arbeit der Schwestern. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten darf beispielsweise der Nähunterricht nicht mehr in der Volksschule erteilt werden. Doch die Schwestern und Eisenbacher lassen sich nicht unterkriegen: Mit Hilfe vieler arbeitsloser Eisenbacher werden Scheune und Stall am Schwesternhaus für 2.400 Mark umgebaut und am 4. Dezember 1933 kann die Nähschule dort eröffnet werden. Am 6. August 1941 wird der katholische Kindergarten den Schwestern entzogen und diese Einrichtung der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) unterstellt.

Während ihrer Eisenbacher Station vertieft Schwester Blithmunda ihre Krankenpflegeausbildung in Frankfurt: „Am 1.4.1936 wurde ich ins St. Marienkrankenhaus zu Frankfurt a. M. zu weiteren Ausbildungen versetzt.“ Lehrgänge und praktische Stationspflege folgen. Gleichzeitig wirkt sie in Eisenbach in der ambulanten Versorgung mit. Offensichtlich liegt ihr das Praktische, sie begeistert wohl ihre Oberen, denn ihr werden gleich eine Vielzahl von Möglichkeiten eröffnet. Und so ist es auch keine Überraschung, dass sie ihr Examen im Februar 1937 im Frankfurter St. Marienkrankenhaus mit „sehr gut“ absolviert, quasi zwischen ihren Aufgaben. Schwester Blithmunda bleibt in Eisenbach.

Die Eisenbacher bedanken sich bei den Schwestern, indem sie sie an den Früchten ihrer Arbeit teilhaben lassen: Säcke gefüllt mit Kartoffeln im Herbst, die im Keller des Schwesternhauses gelagert werden; aber auch von jeder Hausschlachtung wird etwas zu den Schwestern gebracht.

Ein Artillerie-Beschuss des Dorfes am Gründonnerstag 1945 trifft auch das Schwesternhaus und beschädigt es stark. Die Schwestern bleiben unverletzt und können in den Kirchenkeller flüchten. Zwar wird bereits im April 1945 unter der Leitung von Architekt Josef Bäcker und Adam Hartmann mit dem Wiederaufbau begonnen, aber erst zu Pfingsten 1946 kann das Gebäude von den Schwestern wieder bezogen werden. Am 4. November 1946 öffnet der Katholische Kindergarten wieder seine Pforten.

Erstmals wird 1945 statistisch festgehalten, wie viele Stunden der Krankenpflege die Schwestern tatsächlich insgesamt leisten: So pflegen sie in diesem Jahr 1.255 Kranke, halten 301 Nachtwachen und absolvieren 50 Tagespflegen sowie insgesamt 9.250 Krankenbesuche. Hausbesuche stehen für Schwester Blithmunda an der Tagesordnung. Manchmal muss sie häufiger kommen, bis sie vor allem die kleinen Patienten antrifft: Die kleine Ursula schafft es gleich zweimal, Reißaus zu nehmen, bis sie – beim dritten Besuch von Schwester Blithmunda – die Impfung erhält.

Versetzung 1947

Schwester Blithmunda wirkt und arbeitet 19 lange Jahre in Eisenbach. 1947 wird die allseits sehr beliebte Krankenschwester versetzt. Es kann statistisch nachgewiesen werden, dass in diesem Jahr allein 10.065 Krankenbesuche durchgeführt worden sind. Schwester Blithmunda bleibt ein Beispiel für grenzenlose Nächstenliebe, die ihre wahre Berufung im Dienst an ihren Mitmenschen findet. In ihrer Zeit in Eisenbach durchlebt sie den Untergang der Weimarer Republik, den Beginn der NS-Zeit. Sie durchleidet die Anfeindungen gegenüber den Katholiken und ihren Orden, ungeachtet deren sozialer und karitativer Leistungen. Auch den Zweiten Weltkrieg erlebt sie dort. In dieser Zeit sind nicht nur „normale“ Krankheiten und Verletzungen zu behandeln, sondern auch die, die durch Einwirkungen des Krieges entstanden sind. In Eisenbach erlebt sie auch schließlich das Kriegsende und die Zeit der Besatzung.

Schwester Blithmunda und ihre Arbeit werden sehr geschätzt – sowohl von der Eisenbacher Bevölkerung als auch von ihren Vorgesetzten. Letztere erkennen ihr Organisationstalent: Bereits in ihrer nächsten Stelle ist sie Oberin. Ihr Weg führt sie zunächst nach Frickhofen, in den Westerwald. Hier steuert sie die Filiale durch die Jahre des Aufbaus, der Währungsreform und die Gründerjahre der Bundesrepublik Deutschland. Anschließend geht es für sie nach Niederbrechen, wo sie auch als Oberin dient. Nach einer Stelle als Oberin in Wiesbaden-Schierstein folgt ein Aufenthalt in Stromberg, ebenfalls als Oberin. Schließlich geht es wieder zurück nach Schierstein. Sie ist ca. 76 Jahre alt – viele ihrer „zivilen“ Zeitgenossen sind längst in Rente – während Schwester Blithmunda noch weiter Verantwortung trägt. Doch das Alter nagt auch an ihr. Ihr Weg von Schierstein führt daher nicht direkt ins Altenheim nach Koblenz (Filiale St. Barbara), sondern zunächst für einige Tage nach Schlangenbad, vermutlich um sich zu erholen. Am 27. Oktober 1986 stirbt Schwester Blithmunda. Die Schwestern versammeln sich an ihrem Totenlager und beten für ihre Seelenruhe. Am 30. Oktober wird Schwester Blithmunda beigesetzt.

Quellen:

Arme Dienstmägde Jesu Christi, Kloster Maria Hilf: Schreiben mit Informationen zu Schwester Blithmunda, 25.10.2024.

Zabel, Norbert: Die Niederlassung [der Armen Dienstmägde Jesu Christi (ADJC, Dernbacher Schwestern)] in Eisenbach (1927 – 1961), in: Die Orden im Bezirk Limburg seit der Gründung des Bistums Limburg, Hadamar 1992, S. 147-149.

Köhler, Willi: Festschrift 750 Jahre Eisenbach.

Rembser, Franz Josef: Aus der Geschichte der katholischen Kirchengemeinde Eisenbach, in: 750 Jahre Eisenbach, 1984, S. 95/96.

Klöppel, Robin: Drei Schwestern kamen 1927, Nassauische Neue Presse, 29.10.2014.

Deutsches Historisches Museum: Der „Kohlrübenwinter“ 1916/17. https://www.dhm.de/lemo/kapitel/erster-weltkrieg/alltagsleben/kohlruebenwinter-191617 (letzter Zugriff: 09.11.2024).

Deutsches Historisches Museum: Tod und Verwundung. https://www.dhm.de/lemo/kapitel/erster-weltkrieg/kriegsverlauf/tod-und-verwundung (letzter Zugriff: 09.11.2024).

Recherche: Julia Hartmann und Christian Heinz

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