Auf mehrfachen Wunsch veröffentlichen wir hier das Redemanuskript des Eisenbacher Ortsvorstehers Lothar Siegmund anlässlich der Gedenkfeier am Ehrenmal in Eisenbach am Totensonntag, 13. November 2022.
„In den letzten Jahren habe ich oft an Jahrestage erinnert. 2018 sprach ich über das Ende des Ersten Weltkriegs und die Feierlichkeiten zum 100sten Jahrestag in Belgien und Frankreich. Ein Jahr danach über die Invasion in der Normandie und deren Bedeutung für das Ende des Zweiten Weltkriegs. In meinen Reden ging es um übertriebenen Nationalismus, patriotische Verirrung, Opfer und Leid. Aber vor allem – und das war das Wichtigste und tröstlich – ich konnte in der Vergangenheit reden.
In Europa gab es seit dem Zweiten Weltkrieg etliche weitere Konflikte: Die „Troubles“ – der Bürgerkrieg in Nordirland, der erst 1998 mit dem Karfreitagsabkommen beendet werden konnte und der aufgrund des Brexits nun wieder brüchig scheint.
Der Zerfall des ehemaligen Jugoslawiens und der Bürgerkrieg bis 2001 – also gerade mal vor zwanzig Jahren – er hatte immense Auswirkungen auf das Nachkriegseuropa. Die Bundeswehr steht bis heute mit Truppen zur Friedenssicherung auf dem Gebiet des Kosovo. Von 1991 bis 2001 kämpften in Jugoslawien die Bevölkerungsgruppen erbittert gegeneinander. Etliche neue Staaten sind dadurch entstanden – die Ursachen der Konflikte wurden aber noch nicht beseitigt und die Wunden sitzen nach wie vor tief.
In der KSZE-Schlussakte von Helsinki hatten sich die europäischen Länder 1975 auf die Unverletzlichkeit der Grenzen geeinigt.
Und nun haben wir 2022 – ich stehe wieder hier – und, anstatt einen positiven Ausblick auf die Zukunft geben zu können, tobt ein neuer, ein Konflikt von ganz anderer Qualität in Europa.
Russland hat im Frühjahr die Ukraine überfallen und versucht, dort sein Einflussgebiet zu erweitern – auf Kosten von Zivilisten und unter den schlimmsten Androhungen in Richtung der westlichen Welt. Es ist ein Machtkampf der Ideologien.
Das westliche Europa und die NATO haben Anteil an dieser Entwicklung. Die Erweiterung der NATO und deren Ausdehnung bis an die Grenzen des ehemaligen Sowjetreiches mussten zwangsläufig zu einem Abwehrverhalten und Drohgebärden gegenüber dem Westen führen. Wie hätten wir – die westlichen Länder – uns denn umgekehrt verhalten?
Dass nun aber Russland die Ukraine überfällt und Teile ihres Territoriums für sich beansprucht, ist ein Tabubruch und ein Schreckensszenario für uns alle. Glücklicherweise scheint der heiße Draht oder das „Rote Telefon“ zwischen Moskau und Washington noch zu funktionieren und so dürfen wir alle guter Hoffnung sein, dass auch dieser Konflikt – ähnlich wie die Kuba-Krise 1962 – auf informellem, diplomatischem Wege gelöst wird und nicht weiter eskaliert. Am 07.11. berichtete die Frankfurter Allgemeine Zeitung, dass Gespräche zwischen dem Sicherheitsberater der Biden-Administration und Moskau stattfinden. Das ist ein gutes Zeichen. Hoffen wir auf ein gutes Ende dieser Gespräche.
Was den Grund für diesen Krieg und nahezu alle anderen Kriege in der Welt anbelangt, so möchte ich ganz deutlich sagen: Es gibt keine Entschuldigung für alte, verbohrte Männer, die die Jugend ihres Landes in Schützengräben schicken, damit diese dort verblutet oder verstümmelt und seelisch verkrüppelt und verroht nach Hause zurückkehrt. Solche Menschen sind ein Fall für den Psychiater!
Aber wir müssen nicht tatenlos zusehen. Wir können aufstehen, wir können uns laut zu Wort melden, wir können ihnen entgegenschreien „Nicht mit uns“! Wir haben eine andere Vorstellung davon, wie die Menschen miteinander umgehen sollten. Wir verfallen nicht der nationalistischen Rhetorik, den Parolen, der Missachtung aller menschlichen Würde. Wir sind mehr und wir sind lauter.
Nicht die Querköpfe und Aluhüte, die Putinhörigen und diejenigen, die vermeintlich einfache Antworten auf komplizierte Sachverhalte haben, nein, wir sind das Volk! Und das sollten wir jetzt deutlicher denn je zum Ausdruck bringen. Das können wir – zum Beispiel – indem wir wählen gehen und unsere Stimme Parteien und Kandidaten geben, die fest in der Demokratie verwurzelt sind und die gemäßigt und vernünftig sind. Da gibt es eine große Bandbreite in Deutschland.
Die nächste Chance dazu haben wir bei der Landtagswahl in Hessen im kommenden Jahr. Eine hohe Wahlbeteiligung und eine klare Absage an die Parteien am Rande der demokratischen Grundordnung wären ein starkes Zeichen. Für uns und für unsere Kinder und Enkel. Wir dürfen nicht aufgeben, für eine freundliche, liebens- und lebenswerte Welt einzutreten. Laut und hörbar.
Aus unserer Vergangenheit sollten wir gelernt haben, dass sonst irgendwann wieder radikale Minderheiten so laut krakeelen, dass die vernünftigen Menschen nicht mehr gehört werden können.
Ich wünsche uns allen viel Kraft dazu, lauter als die Schreihälse zu sein, wir werden diese Kraft brauchen. Ich bin zuversichtlich, dass wir Eisenbacher weiter eine vernehmbare Stimme der Vernunft sein werden.
Ich bedanke mich bei der Freiwilligen Feuerwehr für den würdevollen Rahmen und die Verkehrssicherung, bei den Eisenbacher Musikanten
und dem Männergesangsverein für die musikalische Untermalung und das Engagement.
Danke auch an die Gemeinde und dem VDK für die Kränze.
Euch allen wünsche ich einen guten Heimweg, Zuversicht und einen besinnlichen Sonntag.“