Dorothea Brück, genannt das Wahner Dortche (1874-1948)

Geschichten über Eisenbacher Originale (Teil 1 - Dorothea Brück)

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Klein und zierlich war sie ja, das Wahner Dortche. Sie war als Kind lange krank, ist deshalb nicht immer gewachsen. Auch hatte sie schon als Kleinkind Probleme mit ihren Augen, daher schielte sie ein wenig. Aus ihrem Elternhaus in der Bachstraße kam sie auch fast nie heraus. Aber trotz dieser Gebrechen war das Wahner Dortche meistens ein fröhliches Kind. Von ihrer Mutter hatte sie die Eigenschaft übernommen, lieber etwas zu spät als zu früh zu kommen. Dieses Zuspätkommen war lebenslang ihr Markenzeichen. Sie hatte es nicht weit bis zur Kirche, aber zu früh kam sie nie. Im Gegenteil, wenn sie da war, hätte der Küster ruhig die Kirchentüre zuschließen können.

Doch in einer Tätigkeit war sie sehr flink: beim Krauthobeln! Das Dortche besaß einen Krauthobel und im Herbst, wenn die Weißkrautköpfe prall und fest waren, ging sie mit ihrem Krauthobel von Haus zu Haus und hobelte. Jedes Haus besaß damals mindestens einen Sauerkrautständer. Der Ständer, gefertigt aus Westerwalder Steingut, fasste meist den Wintervorrat an dem vitaminreichen Volksnahrungsmittel. Von dem auch schon: „Witwe Bolte besonders schwärmt, wenn es wieder aufgewärmt.“

Die Herbstzeit war jährlich die schönste Zeit für das Wahner Dortche.  Auch fromm war sie und nur selten versäumte sie einen Gottesdienst. Mit allen Prozessionen ging sie mit und bildete gewissermaßen den Schluss. Einmal und zwar bei der Prozession an Christi Himmelfahrt auf den Hof zu Hausen geriet sie in große Schwierigkeiten. Nach einer kurzen Andacht an der Waldkapelle Im Fegefeuer hatte der Pilgerzug seinen Rückweg angetreten. Dabei musste eine große Viehweide passiert werden und auf der standen eine große Anzahl Kühe und genossen ihr Gras zum zweiten Mal. Der Schweißer des Hofes, Georg Wiesheu, hatte seinen Stier auf der Weide vergessen. Als nun der feierliche Zug mit wehenden Fahnen an der Rindviehherde vorüberzog, kauten alle Kühe ruhig weiter. Nur der Stier fühlte sich gestört. Wütend stürmte er auf den Weidezaun los, durchbrach den dreifachen Stacheldraht und wollte – ja was wollte er denn eigentlich? Das Dortche war, wie üblich, die Allerletzte und bemerkte das wilde Kraftpaket darum zuerst. Blitzschnell flitzte sie eine Böschung hoch, erwischte einen niedrigen Ast und schwang sich auf den Baum. Der Stier stand vor dem Baum – vielleicht wollte er ja nur spielen? Dortche musste auf dem Baum ausharren, bis der Wiesheu herbeigerufen, den Stier am Nasenring gepackt und in den sicheren Stall gesperrt hatte.

Dieses Erlebnis hatte sich bei dem Wahner Dortche tief eingeprägt und war bei jedem Krauthobeln ein Thema. Bei den Prozessionen in den folgenden Jahren liefen wir Buben immer vor, um nach den Bullen zu sehen. Es wurde aber an Christi-Himmelfahrtstagen nie mehr ein Bulle auf der Weide gesichtet. Das Dortche lebte still und zurückgezogen bis ins hohe Alter in ihrem kleinen Häuschen in der Bachstraße und doch wurde sie sehr vermisst, als sie von der Welt Abschied nahm.

Aufgeschrieben und erzählt von Heinz und Edmund Hartmann

 

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